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Sigmar Gabriel (SPD) ist potentieller Anwärter auf die Kanzlerkandidatur für 2013 - zusammen mit zwei weiteren SPD-Spitzenpolitikern.

© dpa

Wahlkampf 2013: Warum Sigmar Gabriel Kanzlerkandidat der SPD wird

Erst im Frühjahr kommenden Jahres will die SPD ihren Kanzlerkandidaten bestimmen. Immer wahrscheinlicher wird, dass dieser Sigmar Gabriel heißen wird. Die Zeit spielt für ihn.

Die SPD präsentiert sich in diesen Tagen kämpferisch und demonstriert zugleich, dass sie in der Lage ist, unterschiedliche Rollen zu spielen. Am Freitag führten die Sozialdemokraten die schwarz-gelbe Bundesregierung im Bundestag mit einem Abstimmungstrick vor. Am Samstag demonstrierten sie auf ihrem Parteikonvent ihre Regierungsfähigkeit. Am Freitag verhinderte die SPD vorübergehend das umstrittene Betreuungsgeld, am Samstag bekannten sich die Genossen staatstragend zum europäischen Fiskalpakt. Freitag Fundamentalopposition, Samstag Regierung im Wartestand. Immer mit dabei, immer mittendrin: Sigmar Gabriel.

Der SPD-Vorsitzende findet zunehmend Gefallen an seiner Rolle als Oppositionsführer und möglicher Herausforderer von Kanzlerin Merkel. Längst wäre es deshalb keine Überraschung mehr, wenn er im kommenden Jahr auch Kanzlerkandidat der SPD würde. Im Gegenteil: Immer häufiger erweckt Sigmar Gabriel mittlerweile den Eindruck, als habe er sich entschieden, seine Partei selbst in den in den Bundestagswahlkampf 2013 zu führen.

Noch allerdings beantwortet die SPD die K-Frage mit ihrer Troika. Noch stehen den Ambitionen von Parteichef Gabriel die Genossen Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück im Wege. Mit dem Dreigespann konnte die SPD in den letzten Monaten unproduktive Personaldebatten vermeiden und vor allem Peer Steinbrück in die sozialdemokratische Parteidisziplin einbinden. Doch mittlerweile ist die Troika ein Bremsschuh.

Das war zuletzt beim sozialdemokratischen Staatsbesuch am Mittwoch vergangene Woche in Frankreich nicht zu übersehen. Noch vor der Kanzlerin wurden Gabriel, Steinmeier und Steinbrück vom neuen französischen Präsidenten im Élysée-Palast empfangen. François Hollande ist der neue starke Mann in Europa, er gibt derzeit den Takt in den europäischen Debatten vor und fordert Angela Merkel heraus. Gemeinsam mit dem französischen Sozialisten wollten die drei deutschen Sozialdemokraten deshalb im Kampf um die Rettung des Euros grenzübergreifende Solidarität demonstrieren, für einen europäischen Wachstumspakt und für einen Schuldentilgungsfonds werben.

Der Sozialist François Hollande ist derzeit das große Vorbild der SPD. Ein bisschen französischer Glanz sollte deshalb in Paris auf die SPD-Troika abstrahlen. Doch neben dem politischen Riesen wirkten die drei sozialdemokratischen Möchtegern-Kandidaten wie politische Zwerge. Es war nicht zu übersehen, die SPD-Troika hat sich überholt, sie ist kein Ausdruck von Stärke, sondern von Schwäche. Nicht für sozialdemokratischen Aufbruch stehen die Drei, sondern für politischen Stillstand.

Dabei geht es der SPD auf den ersten Blick so gut, wie schon lange nicht mehr. In Umfragen hat sich die Partei wieder an die CDU herangearbeitet. Bei der Abstimmung über den Fiskalpakt kann die Partei ihre Muskeln spielen lassen und mit der nordrhein-westfälischen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ist erstmals wieder eine Sozialdemokratin beliebter als Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Hätte Hannelore Kraft zur K-Frage nicht so eindeutig und zweifelsfrei „Nein“ gesagt, würden in Deutschland und vor allem in der SPD jetzt heftig darüber diskutiert werden, ob sie eine Alternative zur glücklosen Männerriege wäre. So führt an der Troika in der SPD kein Werg vorbei, je länger sich diese jedoch quält, je länger SPD ihr Führungsdilemma öffentlich zelebriert, desto mehr spricht dafür, dass die SPD am Ende ihren Parteivorsitzenden als Kanzlerkandidaten nominieren wird.

Die Chancen von Peer Steinbrück hingegen sinken.

Die Chancen von Peer Steinbrück hingegen sinken. Der ehemalige Finanzminister, der als Euro-Retter einen guten Ruf genießt, hat versucht, sich gegen die SPD zu profilieren. Steinbrück hat auf seine hohen Popularitätswerte gesetzt, und darauf spekuliert, dass die SPD deshalb bei der Kandidatenkür nicht an ihm vorbei kommt, weil er vor allem Wechselwähler mobilisieren kann. Doch es scheint so, als habe Steinbrück seinen Wahlkampf gegen die eigenen Genossen zu früh gestartet. Mittlerweile ist aus seiner Kampagne die Luft raus und ein Liebling seiner Genossen wird er in den kommenden Monaten nicht mehr.

Frank-Walter Steinmeier hingegen war von Anfang an nur ein Zählkandidat im Duell zwischen Sigmar Gabriel gegen Peer Steinbrück. Zudem erweckt der Fraktionschef sowieso nicht den Eindruck, als wolle er nach der 23-Prozent-Pleite von 2009 unbedingt noch einmal Kanzlerkandidat werden. Kein politisches Szenario ist zudem derzeit vorstellbar, in dem aus dem braven Fraktionsvorsitzenden ein sozialdemokratischer Hoffnungsträger würde, dem die Wähler einen Wahlsieg gegen Merkel zutrauen würden.

Ein Siegertyp ist zwar auch Sigmar Gabriel nicht, politisch gilt er als sprunghaft, bei den Wählern ist er weniger beliebt als seine beiden Konkurrenten. Doch der entscheidende Vorteil des Parteivorsitzenden ist die Macht des Faktischen. Die Partei und vor allem die Funktionäre stehen hinter ihm, Gabriel ist es in den letzten zweieinhalb Jahren Monaten gelungen, die Partei nach der verheerenden Niederlage 2009 wieder aufzurichten und zusammenzuführen. Er hat sich Schritt für Schritt von Schröders Agenda-Politik verabschiedet, ohne mit den Akteuren dieser Ära zu brechen. Auch der Parteikonvent am Wochenende war Gabriels Bühne. Diese hat der Parteichef gezielt dazu benutzt, um seine innerparteiliche Macht zu demonstrieren und um hinter verschlossenen Türen die Delegierten auf sich und seinen politischen Kurs einzuschwören.

Gabriel setzt in der SPD mittlerweile die entscheidenden politischen Akzente. Er besitzt einen ausgeprägten populistischen Instinkt für die richtigen Themen. Im Wahlkampf 2013 will er vor allem mit innenpolitischen Themen punkten: mit der Forderung nach einem Mindestlohn zum Beispiel und Steuererhöhungen für Reiche, mit einer Energiewende, die sich auch Geringverdiener leisten können und klassischer sozialdemokratischer Industriepolitik. In Sachen Eurorettung hingegen will die SPD zwar mitreden, aber der Bundeskanzlerin nicht im Wege stehen.

Noch muss sich Gabriel allerdings in Geduld üben und natürlich kann bis zum Frühjahr 2013 noch viel passieren. Erst nach der Landtagswahl in Niedersachsen im Januar kommenden Jahres will die SPD ihren Kanzlerkandidaten bestimmen. Die Sozialdemokraten wollen so verhindern, dass der politische Gegner ihren Kanzlerkandidaten frühzeitig angreifen und demontieren kann.

Gabriel kann das nur Recht sein, er weiß, dass die Zeit für ihn spielt. Kein Wunder also, dass vor allem seine innerparteilichen Gegner mittlerweile auf eine schnellere Entscheidung der K-Frage drängen.

Nur ein Problem kann Sigmar Gabriel vermutlich auch bis zum kommenden Frühjahr nicht lösen. Mit ihm als Kanzlerkandidaten fehlt der SPD die Machtperspektive. Wenig spricht derzeit dafür, dass die SPD alleine mit den Grünen die Bundestagswahl gewinnen kann. Die SPD braucht also eine weitere Machtperspektive jenseits der Großen Koalition. Eigentlich müsste die SPD in den kommenden Monaten auf die FDP zugehen. Steinbrück und Steinmeier könnten dies sicher glaubhafter als Gabriel. Trotzdem wird wohl auch Gabriel den Liberalen demnächst Avancen macht. Nur passen Forderungen wie Mindestlohn, Reichensteuer oder Konjunkturprogramme eben nicht zu einer Ampel-Strategie. Da wird die FDP schnell abwinken.

Bei der K-Frage hält der SPD-Vorsitzende mittlerweile also viele Trümpfe in der Hand. Ob ein Kanzlerkandidat Sigmar Gabriel aber auch Wahlen gewinnen kann, das ist allerdings eine ganz andere Frage.

Christoph Seils leitet die Online-Redaktion des Magazins Cicero. Er ist Autor des Buches „Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien?“, erschienen im WJS-Verlag. Er schreibt an dieser Stelle wöchentlich über die deutsche Parteienlandschaft.

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