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Die üblichen Plattitüden: Der Wahlkampf in Berlin ist eine Zumutung, sagt Christoph Seils.

© dapd

Wer mit wem?: Der Wahlkampf in Berlin ist eine Zumutung

In sechs Wochen wählt Berlin ein neues Abgeordnetenhaus. Doch während der Wahlkampf ohne jeden Höhepunkt vor sich hin plätschert, weigern sich die Parteien kollektiv, eine ziemlich wichtige Frage zu beantworten.

Die bahnbrechende Erkenntnis, dass der Kauf einer Schrippe ein aktiver Beitrag zur Integration sein kann, verdanken die Berliner der FDP. In der Hauptstadt ist Wahlkampf, am 18. September wird über ein neues Abgeordnetenhaus abgestimmt und seit einigen Tagen hängen die Laternenmasten voll mit Wahlplakaten jeder Couleur. In blauer Schrift auf gelben Grund ist da nun auch folgender Satz zu lesen: „Wir meinen, dass es eine nette Geste wäre, in Paris nach `Croissants´ statt nach `Schrippen´ zu fragen.“ So banal kann im Wahlkampf eine ernste politische Debatte enden.

Berlin hat viele Probleme, tatsächliche und vermeintliche, übertriebene und drängende und dies nicht nur beim Zusammenleben von Deutschen und Migranten.  Die Stadt ist überschuldet, die Arbeitslosigkeit hoch und die S-Bahn ist ein Trauerspiel. Die Schulen sind eine politische Dauerbaustelle und die Universitäten überlaufen. Zuletzt machten Gewalttaten in der Berliner U-Bahn und Autonome, die Nobelkarossen abfackeln große Schlagzeilen. Viele Berliner haben Angst vor steigenden Mieten, von den vielen Touristen, die ihre Stadt mittlerweile in eine Mischung aus Ballermann und Disneyland verwandeln, fühlen sie sich vor allem belästigt. Berlin ist eine Stadt voller sozialer Konflikte und gesellschaftlicher Widersprüche.

Eigentlich müssten Wahlkampfstrategen aus einer solchen politischen Gemengelage eine Kampagne komponieren können, die fetzt, die zuspitzt und den Wählern Orientierung gibt. Das Gegenteil ist derzeit in Berlin der Fall.

Alle Parteien wollen regieren, wer wollte es ihnen verdenken. Gleich drei Parteien machen sich Hoffnungen auf das Amt des Regierenden Bürgermeisters. Die Grünen verkünden selbstbewusst, „da müssen wir ran“. Die CDU will auch ran, „damit sich was ändert“. Derweil verbreitet die SPD, die schon dran ist, ihr Wohlfühlmotto „Berlin verstehen“. Doch wirklich gerungen wird in diesem Landtagswahlkampf nicht über die Zukunft der Stadt, kein Streitthema heizt den Parteienwettbewerb an, kein politischer Grundsatzkonflikt macht die Parteien unterscheidbar. Nicht einmal mit neuen politischen Ideen versuchen die Parteien auf sich aufmerksam zu machen.

Renate Künast fordert Klaus Wowereit heraus. Der Rest ist Langeweile. Lesen Sie weiter auf Seite 2.

Zunächst schien stattdessen zumindest das ungewohnte Duell um das Rote Rathaus, zwischen dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit und seiner grünen Herausforderin Renate Künast, ein bisschen Spannung zu versprechen. Doch inzwischen zeigen Umfragen, dass der sozialdemokratische Amtsinhaber mit einem deutlichen Vorsprung ins Rennen geht, der Rest ist Langeweile.

Nun sind die Klagen über inhaltsleere Wahlplakate und platte Parolen einerseits nicht neu. Im Gegenteil, vermutlich sind sie schon solange zu hören, wie es Wahlkämpfe gibt. Doch in Berlin zeigt sich andererseits, auf welchem Niveau Wahlkämpfe enden, wenn sich die Parteien nicht mehr grundlegend weltanschaulich unterscheiden und sie ihr Programm verstecken, weil es einem der möglichen Koalitionspartner missfallen könnte.

Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den Parteien. Der Weiterbau der Stadtautobahn ist genauso umstritten wie die Zukunft des Gymnasiums. Zu Themen wie Integration, Bildung oder Stadtentwicklung haben alle Parteien lange Texte vorgelegt. Doch im Straßenwahlkampf finden sich diese nicht wieder.

Das Fünf-Parteiensystem lähmt die Wahlkämpfer, weil die Parteien auch über die Lagergrenzen hinaus koalitionsfähig sein müssen. Die Zeiten, in denen sich im Wahlkampf nicht nur Parteien gegenüberstanden, sondern auch mögliche Bündnisse, scheinen endgültig vorbei.

Die entscheidende machtstrategische eine Frage, die alle Wähler brennend interessiert, weigern sich die Parteien deshalb beharrlich zu beantworten: Die Frage, mit welchem Koalitionspartner sie nach der Wahl eine Regierung bilden wollen. Die Linken wollen Rot-Rot, soweit so klar, die FDP wird vermutlich an der 5-Prozent-Hürde scheitern, weil sie als Mehrheitsbeschaffer nicht mehr gebraucht wird. Aber darüber hinaus wird es unübersichtlich.

Klaus Wowereit zum Beispiel hat, wenn es gut läuft, gleich drei Optionen für die Bildung eines neuen Senats. Er könnte weiter mit den Roten regieren, mit den Grünen oder der Schwarzen. Die Grünen wiederum könnten sich als Juniorpartner der Sozialdemokraten andienen. Aber wenn Renate Künast unbedingt regierende Bürgermeisterin werden will und diesen Eindruck erweckt sie, dann böte sich auch ein grün-schwarzer Senat an.

Der Wähler soll sein Kreuz setzen - ohne zu wissen, welche Regierung er dann bekommt. Lesen Sie weiter auf Seite 3.

Der Wähler jedoch steht nun bezüglich der Machtfrage vor einem schier unauflöslichen Dilemma. Er muss sich für ein Kreuz entscheiden und weiß nicht, welche Landesregierung er anschließend bekommt. Ein linker Sozialdemokrat, der eigentlich für Rot-Rot votieren will, könnte sich plötzlich in einer Großen Koalition wiederfinden, ein Rot-Grün-Wähler mit Sympathie für Renate Künast in einer grün-schwarzen Koalition zwischen traditionellem und alternativem Bürgertum. Der CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel wiederum weicht der Frage, ob der CDU-Wähler lieber mit den Sozialdemokraten oder den Grünen koalieren würde, ebenso wortreich aus. Wer an die Macht will, der braucht im 5-Parteiensystem Optionen. Was der Wähler will, ist zweitranging.

Spannend wird es in Berlin also erst nach der Wahl, wenn die Parteien hinterverschlossenen Türen, die Koalitionsoptionen sondieren. Da liegt dann auch der eigentliche Grund für den programmatisch und weltanschaulich entkernten Wahlkampf. Parteien, die nach der Wahl ihre Optionen wahrnehmen und mit verschiedenen potentiellen Partnern um die Macht, um Posten und um Pfründe pokern wollen, müssen programmatisch flexibel sein. Wer vor der Wahl zu viel verspricht, der gilt dann nach der Wahl als Umfaller und Wahlbetrüger. Kein Wunder, dass der Berliner Abgeordnetenhaus Wahlkampf nicht nur langweilig ist, sondern von vielen Wählern auch als Zumutung empfunden wird.

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