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Wikileaks und Diplomatie: Wer redet jetzt noch offen?

Die Veröffentlichungen durch Wikileaks sind ein Angriff auf den Frieden. Vor allem erklärte Feinde der USA profitieren von den Depeschen.

Julian Assange sitzt im Gefängnis, die Wikileaks-Daten sind von ihren Servern in den USA gelöscht worden. Was mit der Enthüllung vertraulicher Dokumente begann, hat durch die schwedischen Vorwürfe eine bizarre Note bekommen. Klar ist aber: Sicherer ist die Welt dank Wikileaks nicht geworden.

Vor kurzem noch hatte ich mit Assange im Europaparlament ein Seminar zum Thema Meinungsfreiheit veranstaltet. Damals hatte er gerade Unterlagen veröffentlicht, die teilweise schwere Vergehen im Irakkrieg dokumentierten. Auch damals wurde Assange massiv unter Druck gesetzt, er wirkte gehetzt, übermüdet, dabei sehr entschlossen. Das Ergebnis sehen wir heute. Doch anders als bei der Dokumentation von Kriegsrechtsverletzungen im Irak, handelt es sich bei den aktuell veröffentlichten Depeschen um Berichte, Bewertungen und politische Empfehlungen. So umstritten sie im Einzelfall auch sein mögen – diese Arbeit ist nicht rechtsverletzend, sie ist das gute Recht jeder Regierung.

Ich würde Wikileaks oder Assange heute nicht mehr einladen. Denn mittlerweile scheint deren Devise zu lauten: Wir richten Chaos an, weil wir es können. Wer profitiert denn vom Einblick in die Depeschen? Es sind vor allem erklärte Feinde der USA. Wenn die Amerikaner nicht öffentlich herausstellen, dass fast die gesamte arabische Welt ihre Einschätzung zur Bedrohlichkeit des iranischen Nuklearprogramms teilt, geschieht das aus gutem Grund – es könnte die Regierenden dieser Länder in große Schwierigkeiten bringen. Nicht alles muss an die Öffentlichkeit gelangen. Transparenz ist ohnehin eines der Merkmale von Demokratien, das ein taktischer Nachteil gegenüber Regimen sein kann, die sich den eigenen Bürgern und der Außenwelt gegenüber abschotten.

Damit die Kommunikation zwischen Ländern funktioniert, bedarf es klarer Regeln. Diplomatie bürgt für ein gewisses Maß an Verlässlichkeit und Ordnung im an sich anarchischen Staatensystem – daran sollte nicht gerüttelt werden. Das Sammeln wertvoller Eindrücke und Informationen verhindert Irrtümer und dadurch auch Konflikte. Falsche Einschätzungen des Gegenübers haben die Menschheit immer wieder in den Krieg geführt, einmal sogar an den Rand der nuklearen Katastrophe: Erst nach der Kubakrise von 1962 wurde die Einrichtung einer Hotline zwischen dem Weißen Haus und dem Kreml vereinbart.

Diplomaten leisten entscheidende Beiträge zur Vermeidung von Konflikten, indem sie Missverständnisse ausräumen. Das vertraulich gesprochene Wort, die Erörterung komplizierter Details und auch persönlicher Animositäten – all das gehört dazu, wenn man ein anderes Land, seine Politik und seine Absichten richtig einschätzen will. Keinem Diplomaten kann man vorwerfen, dass er solche Gespräche führt, auch nicht dem amerikanischen Botschafter in Berlin, Phil Murphy, der für die deutsch-amerikanischen Beziehungen ein Glücksfall ist. Aber wer redet jetzt noch offen mit den diplomatischen Vertretern der USA? Genau hier liegt das Problem: Wenn die einzige Supermacht der Welt schlechte, unvollständige und mitunter sogar bewusst irreführende Informationen bekommt, kann das zu Fehlwahrnehmungen in Washington führen und zu falscher Politik, im Extremfall sogar zu einer Gefahr für den Frieden werden. Die Bloßstellung des amerikanischen Außenministeriums ist deshalb auch ein Angriff auf die Friedenssicherung. Mit seinem neuesten Coup alarmiert Assange die Allgemeinheit nicht, er bringt sie allenfalls in Gefahr.

Ein Gutes mag das Ganze doch haben: Der fahrlässige Umgang mit Daten, den die EU den Amerikanern immer wieder vorhält – jetzt liegt er offen zu Tage. Vielleicht werden ja Bank-, Passagier- und Internetnutzerdaten im Amerika demnächst doch etwas besser geschützt. Nicht nur Regierungen, auch Bürgerinnen und Bürger haben das Recht auf eine Zone der Vertraulichkeit, in die niemand anders Einblick haben darf.

Der Autor ist gelernter Diplomat und außenpolitischer Sprecher der FDP im EU-Parlament.

Alexander Graf Lambsdorff

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