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Christian Wulff kann als Bundespräsident nur repräsentieren. Doch die Bürger wünschen sich mehr von ihm.

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Wulff und die Kredit-Affäre: Die falsche Sehnsucht nach einem starken Präsidenten

Die Deutschen wünschen sich einen Präsidenten, der einen ideologischen Kompass vorgibt. Dabei kann kein Bundespräsident rhetorisch in jene Lücke springen, die die Politik hinterlässt.

Die Debatte um den Bundespräsidenten und seinen Privatkredit schlägt mittlerweile hohe Wellen. Christian Wulff steht unter Druck, die Opposition verlangt weitere Aufklärung, selbst Rücktrittsforderungen sind bereits zu hören. Während die Kritik der Opposition anmaßend ist, schleppen sich die Regierungsparteien mühsam zur Verteidigung ihres Präsidenten. Nicht nur der Amtsinhaber Wulff wird durch die aktuelle Diskussionen beschädigt, sondern auch die Institution Bundespräsident.

Denn viele Kritiker halten Christian Wulff nicht nur das zinsgünstige Darlehen, seine ausweichende Antwort im niedersächsischen Landtag und einen möglichen Verstoß vor. Ihre Kritik ist auch deshalb so heftig, weil der Bundespräsident in ihren Augen die Erwartungen in das Amt nicht erfüllt hat. Sie halten Wulff, der im Mai 2010 mit der Mehrheit der Regierungsparteien CDU, CSU und FDP ins Amt gewählt worden war, für einen blassen Präsidenten. Zudem haben sie ihm nicht verziehen, dass sich der CDU-Politiker und damalige niedersächsische Ministerpräsident vor anderthalb Jahren in der Bundesversammlung gegen den Außenseiter Joachim Gauck, der damals von den Medien zum überparteilichen Bürgerpräsidenten stilisiert worden war, durchgesetzt hatte. Die Wulff-Kritiker vermissen von ihrem Bundespräsidenten vor allem sinnstiftende Reden und wegweisende Ideen, sowie präsidiale Machtworte.

Tatsächlich jedoch räumt die Verfassung dem Bundespräsidenten kaum Möglichkeiten ein, sich zu profilieren. Das Amt wird machtpolitisch deutlich überschätzt. Denn im bundesdeutschen Parteienstaat ist der Bundespräsident tatsächlich nur der Schriftführer der Parlamentarischen Demokratie.

Der Schein ist ein anderer. Schließlich wohnt der Bundespräsident in einem großen barocken Schloss. Er darf in der Welt herumreisen und die Hände vieler Staatsoberhäupter schütteln. Der Bundespräsident soll das Land repräsentieren, sich aber aus der Tagespolitik heraushalten. Machtpolitische Kompetenzen hat er keine. Weil die Deutschen in der Weimarer Republik schlechte Erfahrungen gemacht haben mit der Machtfülle eines direkt gewählten Reichspräsidenten, haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes dem Bundespräsidenten eine äußerst schwache Rolle zugewiesen.

Der Bundespräsident darf die Gesetze unterschreiben, die der Bundestag beschlossen hat, er darf Minister ernennen, die ihm die Kanzlerin vorschlägt und er darf Neuwahlen dann ausrufen, wenn die Bundeskanzlerin im Parlament eine Vertrauensabstimmung verloren hat. Der Bundespräsident darf politischen Entscheidungen seinen Segen geben, nur entscheiden darf er nichts.

Doch weil der Bundespräsident machtpolitisch wenig zu vermelden hat, werden ständig andere Anforderungen an ihn herangetragen. Vor allem soll er deshalb mit der Macht des Wortes glänzen und die Politik intellektuell überstrahlen. Er soll jenen politischen Sinn stiften, der im politischen Alltag meist verloren geht, jene Werte vermitteln, auf denen vor allem die christlich-liberale Politik der Bundesregierung basiert. Er soll den ideologischen Kompass für eine Politik spielen, denen die traditionellen Koordinaten mehr und mehr verloren gehen.

Tatsächlich jedoch hat es in 62 Jahren Bundesrepublik trotz insgesamt zehn Amtsinhabern nur eine Rede eines Bundespräsidenten gegeben, die Geschichte geschrieben hat, weil sie das Land und dessen Wahrnehmung in der Welt verändert hat. Doch als der Christdemokrat Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 anlässlich des 40. Jahrestages des Kriegsendes davon sprach, dieser Tag sei für ihn ein „Tag der Befreiung“ gewesen, waren viele seiner Parteifreunde entsetzt. Weizsäcker hatte eine einfache Wahrheit ausgesprochen, die für die Nachkriegsgeneration längst selbstverständlich geworden war, die aber viele konservative Parteifreunde nicht wahrhaben wollten.

Als Köhler die "Profitgier" anprangerte, wurde er nur milde belächelt

Alle anderen Bundespräsidentenreden sind längt vergessen, abgeheftet und im Archiv verbracht worden. Einzig an die sogenannte Ruckrede des ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog aus dem Jahr 1997 können sich viele Menschen noch erinnern, nicht an den Inhalt, sondern nur an das Etikett, dass ihr Journalisten anschließend verpassten. Doch diese Herzog-Rede ist vor allem deshalb so legendär, weil sie politisch absolut folgenlos blieb, weil die damalige Kohl-Regierung genau diesen Ruck, also eine grundlegende Reform des Sozialstaates aus wahltaktischen Erwägungen nicht wollte. So führte sie die Machtlosigkeit des Präsidentenwortes eindrucksvoll vor Augen.

Und als der Bundespräsident Horst Köhler versuchte, 2009 während der Finanzkrise der Politik ins Gewissen zu reden, die internationale Finanzwelt ein „Monster“ nannte, deren „Profitgier“ anprangerte und eine „starken Staat“ forderte, da wurde er in der Politik und vor allem von den Politikern aus Union und FDP, die ihn ins Amt gewählt hatten, nur milde belächelt.

Das Problem jedes Bundespräsidenten ist, dass seinen Worten in der Regel keine Taten folgen. Er hat nicht die Macht, Forderungen politisch durchzusetzen, er kann nicht rhetorisch in jene Lücke springen, die die Politik hinterlässt. Wulff kann nicht die Rede halten, die Merkel nicht hält. Kein Bundespräsident kann einer sprachlosen Regierung eine Stimme geben.

Gerade in der aktuellen Euro-Krise, in der die Politik von Krisengipfel zu Krisengipfel eilt und selbst Experten nicht mehr genau wissen, ob ihre Rezepte noch helfen, wird dies sehr deutlich. Ein Bundespräsident, der da auf den Tisch haut, wird schnell als Papiertiger entlarvt. Und zwar von denselben Journalisten, die zuvor von ihm ein Machtwort gefordert haben.

Viele Menschen und vor allem viele konservative Kommentatoren sehnen sich trotzdem nach einem starken Präsidenten, nach einem demokratischen König, dem grauen politischen Alltag der Demokratie etwas royalen Glanz geben sowie nach einem parteipolitisch unabhängigen und wortgewaltigen Staatsoberhaupt, der der politischen Klasse von Zeit zu Zeit den Marsch bläst.

Doch damit projizieren sie in das Amt des Bundespräsidenten Erwartungen, die kein Amtsinhaber erfüllen kann. Sie formulieren Anforderungen, an denen jeder Bundespräsident scheitert.

Christoph Seils leitet die Online-Redaktion des Magazins Cicero. In diesem Jahr erschien sein Buch „Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien?“ im WJS-Verlag. Er schreibt an dieser Stelle wöchentlich über die deutsche Parteienlandschaft.

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