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"Die Bankenunion plus die Währungsunion plus der freie Kapitalverkehr bilden in der Summe die Finanzunion", sagt Bruno Maçães, der portugiesische Staatssekretär für Europäische Angelegenheiten.

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Zukunft der EU: Die politische Union, ein Raum der Kommunikation

Beim Deutsch-Portugiesischen Forum in Berlin sprach Bruno Maçães, der Staatssekretär für Europäische Angelegenheiten, über seine Vision für die EU. Wir dokumentieren die Rede im Wortlaut.

Es ist mir eine Freude in Berlin zu sein, in einer Stadt, in der ich fast vier Jahre gelebt habe und der ich immer noch nachhänge. Während meiner Zeit in Berlin war diese Stadt nach wie vor „arm aber sexy“.  Ich hoffe, dies hat sich nicht allzu sehr verändert. Berlin steht zudem ganz besonders für die Erfolge Europas und der Europäischen Union. Sie ist Zeugnis der Überwindung der Teilungen Europas und Ausdruck davon, dass es möglich ist, auch in Verbindung mit dem Gewicht der Geschichte durch und durch europäisch zu bleiben und diese Geschichte dazu zu nutzen, eine Zukunft von unbegrenzter Kreativität einzuleiten. 

Die Idee einer Europäischen Union ist ursprünglich von Künstlern und Denkern erschaffen worden. Sie war ursprünglich ein Projekt der Ausdehnung der Grenzen unseres Erfahrungshorizonts, der Erfahrung neuer Formen des Denkens und des Lebens, welche über unsere nächstliegende Gemeinschaft hinausgehen. Es gibt ein bestimmtes Ideal des guten Europäers, das auf das 18. Jahrhundert zurückgeht, eines Kosmopoliten, der es versteht, das Beste aus verschiedenen Ländern oder Nationalitäten harmonisch miteinander in Einklang zu bringen, der selbst zu einem Kommunikationsmittel zwischen Ländern wird. Denken Sie an Goethe, an seine Reisen in den Süden, nach Italien, und an seine umwälzende Entdeckung eines neuen Empfindungsvermögens und eines neuen Lebens, das er aus seiner deutschen Jugend nicht kannte. 

EU will keine neuen Nationalitäten schaffen

Aber dieses Ideal hat einen mehrmaligen Auf- und Wiederabstieg erlebt. Oft drohte es, vollständig verloren zu gehen. Außerdem war es stets einer kleinen Gesellschaftsschicht vorbehalten. Die Europäische Union so wie wir sie kennen ist ein Projekt mit dem Ziel, dieses Ideal für die Zukunft abzusichern und zu verstetigen. 

Wie können wir dieses Ideal absichern und verstetigen? 

Erstens müssen wir verstehen, dass die Europäische Union keine neue Nationalität schaffen will. Sie möchte vielmehr ein Kommunikationsmedium zwischen unterschiedlichen Lebens- und Denkweisen sein, eine Verknüpfung von unterschiedlichen Lebens- und Denkweisen. Zweitens ist sie ein Raum freier Kommunikation, in dem die Grenzen allmählich verschwinden müssen. Denn es gibt keine freie Kommunikation in einer Welt mit Grenzen. Wenn wir von Kommunikation sprechen, dann meinen wir damit den Handel, den Austausch von Ideen und Wissen, die Mobilität von Personen und natürlich auch die Kommunikation von Politiken. Die Politik darf nicht außen vor bleiben. Dies ist meine Hauptbotschaft heute. Die Politik darf nicht außen vor bleiben.

Es reicht nicht Barrieren abzuschaffen 

Lassen Sie uns näher darauf eingehen. Wenn wir einen großen Raum der Kommunikation schaffen möchten, muss selbiger auf Regeln oder Institutionen basieren. Es reicht nicht, Barrieren abzuschaffen. Wenn nämlich die Institutionen, auf denen der Austausch von Ideen, Waren und Kapital basiert, nationale Institutionen bleiben, dann wird der europäische Raum niemals existieren, da dann diese Institutionen selbst als Barriere fungieren.

Im Fall der Finanzmärkte war dies sehr eindeutig. Die Finanzmärkte funktionieren nicht ohne eine institutionelle Struktur, die zum Beispiel die Art und Weise der Lösung von Bankenkrisen oder die Überwachungsrichtlinien festlegt. Wenn diese Institutionen nationaler Natur sind, ergibt sich daraus eine Segmentierung der Finanzmärkte entsprechend den nationalen Grenzen. Zwar vielleicht nicht unter den Bedingungen einer Kreditexpansion, aber früher oder später kommen die Grenzen wieder zum Vorschein, so wie es tatsächlich im Jahr 2008 passiert ist.

"Die Finanzmärkte benötigen gemeinsame Struktur"

Der Euro war für sich allein nicht genug, um integrierte Finanzmärkte zu schaffen. Wir können sagen, dass er lediglich eine weitere Phase des Projekts der finanziellen Integration darstellte. Das letzte Element fehlte noch: Gemeinsame Überwachungs- und Abwicklungsinstrumente, welche inzwischen entwickelt worden sind. Die Bankenunion plus die Währungsunion plus der freie Kapitalverkehr bilden in der Summe die Finanzunion.

Die Finanzmärkte benötigen also eine gemeinsame institutionelle Struktur. Und eine Struktur, die die Akteure frei agieren lässt, aber die über das Tagesgeschäft der Wirtschaftsteilnehmer hinaus eine Zentripetalkraft schafft. Ich bin der Meinung, dass es sich bei anderen Strukturen notwendigerweise analog verhält: Was soll man mit den Strukturen des Arbeitsmarkts, des Marktes für Produkte und Dienstleistungen und des Bildungssystems machen? 

Es geht hier natürlich nicht darum, eine europäische Macht zu kreieren. Stattdessen geht es um die Erzeugung einer Zentripetalkraft, die die politische Zersplitterung bekämpfen kann, so wie die Bankenunion die finanzielle Zersplitterung bekämpft. Wenn beispielsweise ein Land nicht die nötigen Reformen unternimmt, leidet sein Wachstum und seine Beschäftigung darunter, was sich wiederum negativ auf die Außennachfrage anderer Länder auswirkt. Dies gilt umso mehr, je integrierter die Märkte sind. Deshalb ist eine Kommunikation von Politiken von wesentlicher Bedeutung, damit alle Staaten ein Wort bei bestimmten fundamentalen Ausrichtungen anderer Mitgliedsstaaten mitreden können. 

 Offener Raum der Kommunikation

Es ist von wesentlicher Bedeutung, eine Finanzunion zu schaffen, in der die finanziellen Grenzen nicht mehr sinnvoll sind. Aber denken Sie daran, wie sinnvoll das Vorhandensein eines ebenso freien und offenen Raums der Kommunikation für die öffentlichen Politiken ist. Ich wiederhole, dass es nicht darum geht, gemeinsame öffentliche Politiken zu schaffen. Es geht vielmehr darum, einen Raum zu erzeugen, in dem unterschiedliche öffentliche Politiken miteinander kommunizieren. Ich glaube weder an einen gemeinsamen europäischen Staat noch an Staaten, die in ihrer Souveränität getrennt voneinander leben. Dies sind zwei Extreme, die es zu vermeiden gilt. 

Daher ist heute meine zentrale Frage: Wie stellt man es an, dass die Politiken der verschiedenen Mitgliedsstaaten miteinander kommunizieren?   

Erlauben Sie mir, ein Beispiel anzuführen, das unmittelbar mit Deutschland zu tun hat. Wir kennen alle die Stärke der deutschen Industrie, besonders des Mittelstands, eines komplexen Gefüges von Unternehmen mittlerer Größe, die äußerst wettbewerbsfähig auf den globalen Märkten und ausgesprochen innovativ sind. Jedoch ist der Dienstleistungssektor nicht im gleichen Maße wettbewerbsfähig. Das weiß ich nur zu gut, weil ich in Deutschland gelebt habe. Ich kenne die Eintrittsbarrieren für neue Konkurrenten, die Widerstände gegen den Wettbewerb, die regulatorischen Hürden, die niedrige Produktivität von Rechtsanwaltskanzleien und Apotheken. Deutschland braucht einen Dienstleistungsbereich, der auf dem Niveau seines Industriesektors liegt.

 Deutschland braucht Strukturreformen

Ist dies nun ein Thema, das nur Deutschland betrifft? Mitnichten. Ein offenerer und wettbewerbsfähigerer Dienstleistungssektor brächte mehr Investitionen, mehr Neugründungen von Unternehmen, was die geringer qualifizierten Arbeitskräfte dazu bewegen würde, von der Industrie in den Dienstleistungsbereich zu wechseln. Dadurch würde sich der deutsche Industriesektor in der Wertschöpfungskette nach oben bewegen und Ländern wie Portugal würden sich Chancen in Bereichen eröffnen, die die deutsche Industrie aufgeben würde. Die Produktivität würde sowohl in Deutschland als auch in Portugal ansteigen. 

Wie können wir garantieren, dass alle Länder die Reformen unternehmen, die die anderen benötigen? Das ist die Frage.

"Die Bankenunion plus die Währungsunion plus der freie Kapitalverkehr bilden in der Summe die Finanzunion", sagt Bruno Maçães, der portugiesische Staatssekretär für Europäische Angelegenheiten.
"Die Bankenunion plus die Währungsunion plus der freie Kapitalverkehr bilden in der Summe die Finanzunion", sagt Bruno Maçães, der portugiesische Staatssekretär für Europäische Angelegenheiten.

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Ich muss zugeben, das es mir schwer verständlich ist, warum diese Kommunikation so schwierig ist. Die konstruktive Kritik, das Lernen von anderen Beispielen, all dieses sollte Teil des normalen Funktionierens der Union sein. Eine Freundschaft steht nur dann auf festen Beinen, wenn sie ehrliche Kritik mit einschließt. Mir fällt es nicht schwer hier deutlich zu sagen: Deutschland braucht viele von den Strukturreformen, die Portugal in den letzten Jahren durchgeführt hat. 

Aus ökonomischer Theorie wird praktische Politik

Die schwierigste Frage – und bei der die Institutionen der Union absolut notwendig sind – betrifft den besten Mechanismus um zu garantieren, dass die Strukturreform der europäischen Wirtschaft gemeinsam umgesetzt wird. Hier wird aus ökonomischer Theorie praktische Politik.

Ich möchte einen solchen möglichen Mechanismus nicht in allen Details beleuchten, sondern lediglich drei von mir als wesentlich erachtete Punkte unterstreichen:

Erstens müssen wir auf die Prävention setzen. Bisher werden die Strukturreformen aus der Not heraus vorgenommen oder dann ständig verschoben. Sie werden also entweder unter den schlechtesten Bedingungen gemacht oder überhaupt nicht.

"Die Bankenunion plus die Währungsunion plus der freie Kapitalverkehr bilden in der Summe die Finanzunion", sagt Bruno Maçães, der portugiesische Staatssekretär für Europäische Angelegenheiten.
"Die Bankenunion plus die Währungsunion plus der freie Kapitalverkehr bilden in der Summe die Finanzunion", sagt Bruno Maçães, der portugiesische Staatssekretär für Europäische Angelegenheiten.

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Zweitens muss der neue Mechanismus das politische Problem lösen. Das bedeutet, dass er die Kosten der Reformen kurzfristig verringern und gewährleisten muss, dass ihre Vorteile nicht über eine Wahlperiode hinausgehen. Sie haben eine langfristige Dimension.

Kosten und Vorteile müssen geteilt werden

Drittens muss er im Sinne der kollektiven Verantwortung funktionieren. Die Kosten müssen geteilt werden, da die Vorteile in einer integrierten Wirtschaft ebenfalls geteilt sein werden. Gleichzeitig müssen die Verantwortung und die Verpflichtungen eines jeden Mitgliedsstaats gegenüber den anderen festgeschrieben sein.

Die Europäische Union öffnet die Tür zu einem (Zwischen-) Raum, wo wir die Dinge aus einer anderen Perspektive betrachten als aus unserer, aus vielen verschiedenen Perspektiven und in dem wir uns mit unserer Perspektive einbringen, um sie den anderen zugänglich machen zu können.

Mehr noch als Goethe vertritt Fernando Pessoa am besten das europäische Ideal. Besonders im Buch der Unruhe erweist sich Pessoa als Mensch, der alles wissen und erfahren möchte und viele verschiedene Dinge gleichzeitig sein will. Goethe und Pessoa sind zwei einzigartige Beispiele des europäischen Geistes, aber dieser europäische Geist ist nicht nur ein Kulturraum. Er ist nicht nur ein Wirtschaftsraum. Er muss auch ein politischer Raum sein. Dies ist die Richtung der Politischen Union, auf deren Suche wir uns seit 50 Jahren befinden.

Prof. Dr. Bruno Maçães ist Staatssekretär für Europäische Angelegenheiten der Portugiesischen Republik

Bruno Macaes

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