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Meinung: Angriff aus dem Urwald

Das Marburg-Virus wird sträflich unterschätzt

Alexander S. Kekulé Als der junge Laborant abends nach Hause kam, fühlte er sich fiebrig und schwach. Er glaubte, eine Erkältung sei im Anmarsch und ging früh zu Bett. In der Nacht übermannten ihn Schüttelfrost und Gliederschmerzen. Zwei Tage später wurde der inzwischen Schwerkranke mit Durchfällen, Übelkeit und Bauchkrämpfen in die Klinik eingeliefert. Die ratlosen Ärzte mussten zusehen, wie ihr Patient ins Koma fiel. Aus Augen, Nase und Mund lief Blut. Kurz darauf verstarb der junge Mann – ein neuartiges Virus hatte sein Gehirn und die inneren Organe regelrecht verflüssigt. Das war im hessischen Marburg, 1967. Insgesamt infizierten sich 25 Labormitarbeiter in Deutschland und Jugoslawien an aus Uganda importierten Affen.

Heute, knapp vier Jahrzehnte später, gibt es gegen das „MarburgVirus“, ebenso wie beim ähnlichen Ebola-Virus, immer noch keine Therapie und keinen Impfstoff. Nach wie vor ist unklar, von welchem Urwaldbewohner das Virus immer wieder auf den Menschen springt. Derzeit muss die Weltgesundheitsorganisation zusehen, wie das Virus im Norden Angolas wütet: Bis Sonntag waren es 218 registrierte Fälle, davon 193 mit tödlichem Ausgang.

Glücklicherweise sind Marburg, Ebola und ähnliche Erreger der „hämorrhagischen Fieber“ extrem selten: Alle Ausbrüche zusammengenommen, haben sie gerade mal einige tausend Opfer gefordert – die jährlichen Todeszahlen von Malaria, Aids, Tuberkulose und Influenza liegen zusammen im zweistelligen Millionenbereich. Die Ineffizienz der „Killerviren“ hat einen simplen Grund: Sie sind nicht an den Menschen angepasst, sondern verirren sich nur ausnahmsweise in die Spezies Homo sapiens.

In dieser verhalten sie sich, aus Sicht eines Virus, deshalb ausgesprochen ungeschickt: Sie werden nicht durch die Luft, sondern nur bei engem Kontakt mit Schleimhäuten, Blut oder anderen Absonderungen übertragen. Die List der meisten anderen Viren, bereits vor dem Ausbruch der Symptome andere zu infizieren, beherrscht das Marburg-Virus nicht. Wenn die Krankheit schlagartig mit stinkenden Ausflüssen, Krampfanfällen und bluttriefenden Schleimhäuten ausbricht, kommt den Opfern kaum jemand freiwillig zu nahe. Schließlich ist die Sterblichkeit so hoch, dass sich die Infektionsherde von selbst „ausbrennen“ – nach etwa drei Monaten ist der grausige Spuk im Allgemeinen vorbei.

Dass die Fachleute durch die regelmäßigen Mini-Ausbrüche exotischer Todesviren trotzdem in höchstem Maße alarmiert sind, hat drei Gründe. Erstens könnten die Viren durch den globalen Reise- und Warenverkehr in weit entfernte Ballungszentren gelangen – eine Lieferung verseuchtes „Buschfleisch“ nach Sao Paolo oder Peking etwa hätte katastrophale Folgen. Zweitens muss angesichts der Bedrohung durch Terrorismus auch mit Anschlägen gerechnet werden – ein Eisverkäufer auf dem Petersplatz hätte bei der Trauerzeremonie für den Papst Zehntausende infizieren können. Drittens, und das ist die ernsteste Gefahr, könnte eines Tages ein neues Virus auf den Menschen überspringen, das sich etwas geschickter anstellt als seine plumpen Vorläufer: Übertragbarkeit durch die Luft oder eine lange, infektiöse Inkubationszeit würden genügen, um eine globale Katastrophe auszulösen.

Ausbrüche wie der in Angola sind deshalb ernste Warnungen der Natur, dass das Schicksal der menschlichen Art an einem dünnen Faden hängt. Dass die EU in der Infektionsforschung das Feld den USA überlassen hat, ist unverzeihlich – auch den aktuellen Ausbruch des Virus hat die US-Gesundheitsbehörde CDC diagnostiziert. Der Ausbruch in Angola erinnert daran, dass die winzigen Gegner immer noch sträflich unterschätzt werden.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle.

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