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Februar 2011: Proteste gegen den damaligen Präsidenten Hosni Mubarak auf dem Tahrir-Platz.

© dpa

Angriffe auf Botschaften: Der Westen sollte an die Bilder vom Tahrir-Platz erinnern

Die Überfälle auf die Botschaften sind bisher kein Beweis für feindliches Gebaren der Revolutionsregierungen. In Kairo und Sanaa ist es eher der Mob, der die Botschaften stürmt. Der Westen sollte weiter an der Seite der Revolutionsregierungen stehen.

Es scheint, als hätte es den Arabischen Frühling nie gegeben. Die friedlichen Revolutionen in Tunesien und Ägypten hatten die Welt begeistert und das Image der Araber und Muslime fast über Nacht verwandelt. Diese jungen Demonstranten, diese Blogger, diese Familien, die für Würde und Freiheit demonstrierten, waren doch eigentlich wie wir. Und nun das: Bilder eines wilden, religiös aufgestachelten Mobs, der Botschaften der USA anzündet. Ist und bleibt der Araber eben doch irrational, dem Westen feindlich gesinnt und gewalttätig?

Die militante Gruppe, die die US-Botschaft in Bengasi angegriffen hat, war alles andere als irrational. Komplex und professionell – so wird der Angriff beschrieben. Das war kein Werk erregter Muslime, sondern die Tat von Terroristen. Dafür spricht auch, dass der Überfall am Jahrestag der Anschläge auf das World Trade Center am 11. September 2001 geschah. Dass dabei ausgerechnet ein US-Diplomat getötet wurde, der die libysche Revolution von Anfang an begleitet und unterstützt hatte, ist besonders tragisch. Das darf aber nicht zu falschen Schlüssen führen. Die Libyer gehören wohl zu den Amerika-freundlichsten Bevölkerungen der arabischen Welt – aber staatliche Strukturen gibt es kaum und militante Islamistengruppen treiben ihr Unwesen.

In Kairo und Sanaa ist es eher der Mob, der die Botschaften stürmt. Das sind nicht die Menschen, welche die Revolution auf dem Tahrir-Platz herbeigeführt haben, sondern andere Schichten der 80 Millionen starken ägyptischen Bevölkerung. Im Westen ist kaum vorstellbar, wie unwissend ein großer Teil der Ägypter ist. Für uns ist es völlig unverständlich, dass diese einfachen Menschen glauben, jede Regierung auf der Welt könne einen Film oder eine Karikatur einfach verbieten, wenn sie es nur wolle. Aber in Ägypten war und ist das so. Selbst nach der Revolution gibt es einen Informationsminister, einen Muslimbruder, der gerade 50 neue Chefredakteure bei staatlichen Medien eingesetzt hat. Der liberale ägyptische Intellektuelle Hani Shukralla beschreibt eindrücklich, wie er seinen Kontakten auf Facebook und Twitter zu erklären versucht, dass die Meinungsfreiheit den Vätern der US-Verfassung noch heiliger war als die Religionsausübung.

Video: US-Geheimdienste verschlafen Unruhe

Vergeblich. Die Unabhängigkeit von Medien werden die Menschen bei der Transformation ihres politischen Systems in den kommenden Jahren hoffentlich kennenlernen. Ebenso wird das Bildungsniveau, wenn es gut geht, ansteigen – beides Bereiche, die der Westen weiter tatkräftig unterstützen sollte.

Bis dahin wird es leider noch viele solcher Zwischenfälle geben, die fanatische Islamhasser nach Belieben auslösen können. Mit der US-amerikanischen Politik in der Region haben sie nichts zu tun. Allerdings ist es irritierend, dass Präsident Mohammed Mursi 24 Stunden braucht, um die Gewalt öffentlich zu verurteilen. Für den früheren Muslimbruder ist dies eine Feuertaufe. Erstmals muss er die Balance finden zwischen der religiösen Empfindsamkeit, die ihn mit einem Großteil der Bevölkerung verbindet, und den Sicherheitsinteressen des Staates. Das fällt ihm und der Regierungspartei der Muslimbrüder offensichtlich schwer. Das ist ein Lernprozess, dessen Ausgang offen ist.

Die Überfälle auf die Botschaften sind bisher kein Beweis für feindliches Gebaren der Revolutionsregierungen. Daher sollte der Westen weiter an ihrer Seite stehen. Und er sollte sich an die Bilder vom Tahrir-Platz erinnern.

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