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Angst vor dem Winter: Berlin ist nicht Haiti

Der Berliner Winter lässt sich nur ertragen, weil es davor einen Berliner Sommer gab, meint Harald Martenstein. Das ist in diesem Jahr anders. Und keine Partei kann etwas dagegen unternehmen.

Präsident Kennedys Bekenntnis „Ich in ein Berliner“ war nur Heuchelei, wie kürzlich bekannt wurde. In Wahrheit konnte Präsident Kennedy, das hat jedenfalls seine Witwe Jackie in einem Interview behauptet, die Deutschen nicht leiden. Bei mir dagegen ist es authentisch. Ich bin ein Berliner. Seit vielen Jahren lebe ich in Berlin und will auch nicht weg.

Das Einzige, was an Berlin nicht so gut ist: der Winter. In Berlin geht Anfang November für fünf Monate das Licht aus. Der Berliner Winter lässt sich nur deswegen ertragen, weil es vorher und nachher den Berliner Sommer gibt.

Bis Weihnachten ist es eigentlich auszuhalten. Danach wird es hart. Mitte Januar denke ich immer, jedes Jahr, dass ich vielleicht doch noch mal wegziehen sollte. Ab Anfang Februar nehme ich täglich Johanniskraut, gehe ins Solarium und trinke wie ein Finne. Anfang März sehe ich im Fernsehen, dass in Süddeutschland die Bienen auf Blütenwiesen herumsummsen, am Bodensee badet Martin Walser schon. In seinen Augenbrauen nisten die Nachtigallen. In Berlin dagegen liegt immer noch Schnee, und ich bestelle noch mal Heizgas nach. Berlin ist eben nicht Haiti. Das hat Klaus Wowereit gesagt. Wenn ich Ende März den zugefrorenen Lietzensee betrachte, auf dessen langsam brüchig werdender Eisfläche die Kadaver erfrorener Krähen verwesen, dann würde ich den Satz „Berlin ist nicht Haiti“ am liebsten mit Krähenblut an jede Hauswand pinseln.

In diesem Jahr also müssen wir zum ersten Mal, seit ich denken kann, den Berliner Winter ertragen, ohne dass es vorher den Berliner Sommer gegeben hätte. Es war seit Ende Juni an fünf oder sechs Tagen warm – nicht etwa heiß, nein, nur warm –, diese Tage waren großflächig über die Monate von Juli bis September verteilt, und ich musste zufällig an all diesen Tagen arbeiten. Im Fernsehen zeigten sie, wie immer, Bilder von der Klimakatastrophe, überall wird es offenbar heißer, am Nordpol schmilzt das Eis. Berlin ist eben nicht der Nordpol.

Das ist zurzeit die größte Angst, die ich habe, die Angst vor dem Berliner Winter, und dagegen hilft kein Rettungsschirm der EU und kein Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Dagegen helfen nicht mal gezielte Luftschläge der Nato, mit dem Ziel, General Winter zum Rücktritt zu bewegen. Die Migrantenpartei BIG kann auch nichts tun, sie können Berlin nicht ans Mittelmeer verlegen. Ich wäre dafür, die Mauer wieder aufzubauen, falls sie ein Schutzwall gegen den Winter ist. Falls der kleine Rösler den Winter aufhalten kann, soll die FDP eine absolute Mehrheit bekommen.

Politik wird überbewertet. Der Wahlkampf hat es doch bewiesen! Wählen Sie am besten eine Partei, bei der Sie das Gefühl haben, dass sie Ihnen Wärme gibt.

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