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Arabische Welt: Andere Ventile als Bin Laden

Nicht erst die Volksaufstände in der arabischen Welt haben bin Ladens Einfluss beendet. Auch in Irak oder in Afghanistan haben sich die Widerstandsgruppen längst von seiner weltumspannender Ideologie losgesagt.

Öffentlich gefeiert hatten nur einige Palästinenserjungs – aber das Video ihres Freudentanzes nach den Anschlägen des 11. September 2001 lief in Endlosschleifen weltweit im Fernsehen. Viele Araber waren vielmehr schockiert. Dennoch gab es eine weit verbreitete Genugtuung darüber, dass endlich jemand den USA die Stirn bot. Und dieser jemand war Osama bin Laden. 

Die Menschen in der arabischen Welt hingen jahrelang an den Lippen des Chefideologen von Al Qaida. Jedes Interview mit bin Laden, das der arabische Sender „Al-Dschasira“ damals noch ungeschnitten veröffentlichte, wurde aufgesogen. Aber nicht, weil alle Araber blutrünstig sind und Anschläge auf Zivilisten gutheißen. Sondern weil bin Laden in klaren Worten das aussprach, was viele in der arabischen Welt dachten und empfanden: dass die USA in ihrer Region in postkolonialer Manier schalten und walten, wie es ihnen gefiel. Und kaum eines der arabischen Regime widersetzte sich.

Der jordanische König steht sozusagen auf der Gehaltsliste der Amerikaner, damit er einen verlässlichen Puffer zwischen Irak und Palästina bildet. Der gestürzte ägyptische Präsident Hosni Mubarak hat in der Region als Vermittler für die USA agiert, oft gegen den Willen seines Volkes. Das Volk durfte dies aber nicht laut sagen, es durfte nur ab und zu seinen Dampf ablassen in Form von Demonstrationen für die Rechte der Palästinenser. Ein anderes Ventil war die Begeisterung für den schmächtigen Vordenker der islamistischen Terrorgruppe Al Qaida, der die als Demütigung empfundene Politik der USA in der Region geißelte. Und im gleichen Atemzug prangerte er die diktatorischen Regime in der Region. Das kam an.

Heute brauchen die Ägypter ein solches Ventil nicht mehr. Denn sie haben ihr Regime friedlich gestürzt und eine neue Regierung erstritten, die eine selbstbewusste, eigenständige Politik macht: Iranische Schiffe dürfen den Suez-Kanal passieren wie alle anderen auch. Die Grenze zum Gazastreifen soll geöffnet werden, um die Blockade zu durchbrechen. Weil dies dem Westen und den USA missfällt, war das unter dem alten Regime nicht möglich. Die Palästinenser wollen eine Einheitsregierung zwischen Fatah und der islamistischen Hamas bilden – obwohl das den mit Israel verbündeten USA missfällt. Angesichts derart eigenständiger Politik, die im Einklang mit der Bevölkerung steht, braucht niemand einen radikalen Terrorchef, um das Gefühl zu haben, gehört zu werden.

Doch ob in Irak oder Afghanistan: Bin Ladens Ruhm ist schon lange vor den Volksaufständen verblasst. In beiden Ländern haben sich die Widerstandsgruppen längst von dessen weltumspannender Ideologie losgesagt. Die Taliban kämpfen auf nationaler Ebene für ihre Ziele. In Irak haben sich die sunnitischen Stämme schließlich gegen ihre ehemaligen Verbündeten aus dem Al-Qaida-Lager gestellt. Osama bin Laden mag noch der Staatsfeind Nummer Eins der USA gewesen sein. In breiten Teilen der arabischen Bevölkerungen gehört er längst zur Geschichte.

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