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Meinung: Arafat und Bin Laden: Terror ist nicht gleich Terror

Israel ist mächtig. Und Ariel Scharon ist nicht für sein Fingerspitzengefühl bekannt.

Israel ist mächtig. Und Ariel Scharon ist nicht für sein Fingerspitzengefühl bekannt. Wenn er will, kann er alle palästinensischen Städte besetzen, die gesamte palästinensische Polizei entwaffnen, mit Raketen die Infrastruktur in der Westbank und im Gazastreifen zerstören und Jassir Arafat lebenslänglich Stubenarrest, Reise- und Fernsehverbot erteilen. Das Problem ist nur: Es nützt nichts. Es ist sinnloser Aktionismus, der sich als Anti-Terrorismus tarnt. Die Herrschaft über ein fremdes Volk - das Grundübel des Nahostkonflikts - beendet Israel dadurch nicht. Den Terror wiederum dämmen solche Maßnahmen allenfalls in dem Maße ein, wie sie dessen Motivationen vervielfältigen. Und auf eine neue, pragmatischere palästinensische Führung zu hoffen, mit der sich bequemer verhandeln lässt als mit der Arafat-Truppe, ist entweder Ausdruck gefährlicher Naivität oder ein Vorwand, um die Ratlosigkeit zu kaschieren.

Das alles müsste ein Land, dessen Stimme in der Region Gewicht hat, der israelischen Führung unmissverständlich sagen. Die USA zum Beispiel. Doch Washington schweigt. Es billigt den Wahnsinn sogar. Das Kapital, das Amerika in Afghanistan gewonnen hat, verspielt es gerade im Nahen Osten. Dort begeht die Bush-Administration ihren ersten großen Fehler seit dem 11. September. Der fast reibungslose Verlauf der "Operation dauerhafte Freiheit" hat sie leichtsinnig gemacht. Der Erfolg hat sie blind werden lassen für die Unterschiede, die es zwischen "Al Qaida" und Hamas gibt. Wir dürfen Israel nicht jene Mittel verweigern, die wir selbst anwenden: Dieser Satz klingt nach Fairness, aber er führt schnurstracks in die Irre. Denn was in Afghanistan funktionierte, ist in Palästina zum Scheitern verurteilt.

Der Binladenismus ist eine Form des religiösen Totalitarismus. Er wird weder von Armut genährt noch von Unterdrückung, sondern er speist sich aus antiwestlichen und antipluralistischen Ressentiments. Das streitet Osama bin Laden ab. Er instrumentalisiert den Nahostkonflikt, weil er sich davon eine größere Anhängerschaft verspricht. Saddam Hussein versuchte dieselbe Strategie während des Golfkriegs. Die USA jedoch fielen auf diesen Trick nicht herein, damals wie heute. Zu den herausragendsten Leistungen seit dem 11. September zählte die scharfe Trennlinie, die George W. Bush zwischen dem globalen und dem regional begrenzten Terrorismus gezogen hatte. Zu Recht beharrte er darauf, dass im Kampf gegen bin Laden andere Instrumente angewendet werden müssen als gegen die IRA, die Eta, die PLO oder selbst die Hamas. Mit bin Laden zu verhandeln, ist absurd. Ohne mit den Palästinensern zu verhandeln, gibt es keinen Frieden im Nahen Osten.

Diese notwendige, weil in der Sache begründete Trennschärfe haben die USA jetzt aufgegeben. Inzwischen hält die Bush-Regierung jede Form des Terrors für gleich verwerflich. Moralisch gesehen stimmt diese Gleichsetzung. Die gezielte und absichtliche Ermordung unschuldiger Menschen ist ein Verbrechen, das sich unter keinen Umständen entschuldigen lässt. Aber politisch betrachtet ist die Gleichsetzung faktenignorant und geschichtsverleugnend. Nur ein Tor kann behaupten, dass der palästinensische Terrorismus ein souveränes Eigenleben führt, das rein gar nichts mit der täglichen Erfahrung von Unterdrückung und Fremdherrschaft zu tun hat.

Jitzhak Rabin, der vor sechs Jahren von einem israelischen Faschisten ermordete Premier, hatte eine Devise geprägt: Man müsse den Terror bekämpfen, als ob es den Friedensprozess nicht gäbe, und den Friedensprozess vorantreiben, als ob es den Terror nicht gäbe. Rabins Nachfolger haben sich von dieser klugen Regel immer weniger leiten lassen. Als Ergebnis gab es immer mehr Tote. Scharon und Bush sehen diesen Zusammenhang nicht - Scharon, weil er nicht will, und Bush, weil er nicht kann.

Der Schock des 11. September und der schnelle Erfolg des Afghanistan-Feldzugs haben die amerikanische Nahostpolitik irrational gemacht. Wer bin Laden mit Arafat gleichsetzt, betreibt genau das, was die Fanatiker beabsichtigen. Ihnen allein nützt die Vermischung von Anlass, Grund und Ziel. Wenn die Israelis die PLO bekämpfen wie die Amerikaner die Taliban, dann Gute Nacht Naher Osten. Also: Gute Nacht.

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