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Arbeit und Hartz IV: Dynamik durch Sicherheit

Roland Kochs Vorschlag zur Arbeitspflicht für Hartz-IV-Empfänger ist ein Bluff - sie steht bereits im Gesetz. Der Wettlauf um die populärste Korrektur läuft Gefahr, den entscheidenden Punkt zu verfehlen: Mehr Arbeit gab es nur, wo sie billiger und rechtloser wurde. Menschen in prekären Lebenslagen brauchen neue Sicherheiten.

Vom dreisten Bluff bis zur moderaten Korrektur ist alles im Angebot. Den Bluff lieferte Roland Koch mit der Arbeitspflicht für Hartz-IV-Empfänger. Die steht im Gesetz. Dreist obendrein, wenn ein christdemokratischer Marktwirtschaftler wie Koch den Staat in großem Stil zum Arbeitgeber machen will – womöglich des Billigpersonals für die Altenpflege in ansonsten privat betriebenen Heimen? Der Überbietungswettbewerb um Hartz-Korrekturen ist in vollem Gang, zumal bei den Regierungsparteien, die auf den Mai starren. Dann kommen die Wahlen in Nordrhein-Westfalen und die Stunde der Wahrheit für Haushalt, Steuern und die schwarz-gelbe Koalition.

Bis dahin muss jeder zeigen, dass er gern Gutes tut und darüber redet. Hartz IV, die rot-grüne Reform, ist im öffentlichen Bewusstsein die Chiffre für Ungerechtigkeit und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich. Gleich zwei Studien, die des DIW zur Vermögensverteilung im Alter, und die von Bertelsmann über Armutsrisiken, zeigen: Die Schere geht weiter auseinander.

Entgegen der öffentlichen Annahme sind die Hartz-Reformen daran nicht schuld, sie haben, im Gegenteil, eine große Zahl von Menschen aus der Sackgasse Sozialhilfe herausgeholt, in der wir sie stillschweigend abgestellt hatten. Doch die Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt sind im Gefolge der Finanzkrise fast aufgefressen. Und gegriffen hat die richtige Idee vom „Fördern und Fordern“ nie. Denn die Hartz-Gesetze haben zwar die Strukturen der Arbeitsordnung beim Fordern aufgebrochen. Ein Arbeitsverhältnis begründet nicht mehr Besitzstände auf lange Zeit. Doch das Fördern folgte uralten Mustern. Mehr Arbeit gab es nur, wo sie billiger und rechtloser wurde. Der Fall Schlecker zeigt, wie damit das Erpressungspotenzial von Unternehmen gewachsen ist, die zum Lohndumping entschlossen sind.

Dass Hartz-Korrekturen hier einen Riegel vorschieben müssen, versteht sich. Und ebenso, dass Regelsätze so bemessen sein müssen, dass sie Armut verhindern, wie das Gesetz es verspricht.

Aber der Wettlauf um die populärste Korrektur läuft Gefahr, den entscheidenden Punkt zu verfehlen. Was nützt höherer Transfer für wahrscheinlich mehr Bezugsberechtigte, wenn es beim Auseinandergehen der Schere bleibt? In einer hoch produktiven Gesellschaft, in der die Verdichtung der Arbeit ständig zunimmt, steht eine latent sinkende Zahl von intensiv Arbeitenden einer steigenden Zahl von Menschen gegenüber, die keinen Platz in der Arbeitswelt finden. Das ist für beide Gruppen und für das Gemeinwesen nicht gut – und diesem Trend entgehen wir mit Transferlösungen eben nicht.

Fantasie an die Macht, möchte man mit dem Blick auf den Bertelsmann-Armutsatlas rufen. Natürlich rangiert Berlin am untersten Ende, und der Osten steht schlechter da als der Westen. Die Erklärung ist so schlicht, wie die Konsequenzen daraus differenziert sein müssten. Berlin und die ostdeutschen Länder haben weniger Beamte und kontinuierlich Beschäftigte als der besser gestellte Rest, und sie haben weit mehr junge Eltern, die ihre Kinder allein erziehen. Letztere liegen gesamtdeutsch im Aufwärts- wie die Beamten im Abwärtstrend.

Wer so anstrengend lebt wie die wachsende Zahl der Alleinerziehenden, zieht Hartz IV einem Hire-and-Fire-Job immer vor. Über neue Sicherheiten muss nachdenken, wer Arbeit für Menschen in prekären Lebenslagen will – über Mindestlohn, Zeitsouveränität, Arbeitsschutz.

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