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Meinung: Arbeiten die Deutschen zu wenig?

„Europameister beim Urlaub“ vom 28. Juli Jahrzehnte hat man versucht, uns einzureden, wir hätten den meisten Urlaub, arbeiteten am wenigsten und haben die meisten Feiertage.

„Europameister beim Urlaub“ vom 28. Juli

Jahrzehnte hat man versucht, uns einzureden, wir hätten den meisten Urlaub, arbeiteten am wenigsten und haben die meisten Feiertage.

Heute wissen wir, dass man noch immer die 35-Stunden-Woche in Frankreich hat und dort mit 60 in Rente geht. Das mit den Feiertagen ist auch so eine Sache. Wer ab und zu verreist, der weiß, dass es in Ländern wie Spanien, England oder USA die Regel gibt, dass, sollte ein Feiertag auf ein Wochenende fallen, dieser Feiertag am Montag „nachgeholt“ wird. Das gibt es bei uns nicht. In diesem Jahr haben wir in Berlin gerade einmal fünf bezahlte Feiertage.

Wie viel Feiertage gibt es denn überhaupt in Deutschland? Das ist doch wohl in jedem der 16 Bundesländer anders geregelt. In Berlin sind es die wenigsten. In Bayern die meisten. Wirtschaftlich steht Bayern oben und Berlin ganz unten.

Gibt es einen Zusammenhang, dann sollte man möglichst viele Feiertage haben. Das ist ja irgendwie auch logisch, denn das meiste Geld gibt man bekanntlich in der Freizeit aus.

Nach dem Urlaubsgeldgesetz hat jeder Deutsche Arbeitnehmer Anspruch auf vier Wochen Urlaub im Jahr (20 Tage). Es gibt tarifliche Regelungen, die bis zu 30 Tagen im Jahr gehen. Dass 30 Tage im Jahr in Deutschland der „Durchschnitt“ sind, bezweifle ich. Es gibt weite Bereiche in Deutschland, in denen nur noch der gesetzliche Mindesturlaub gewährt wird. Mit diesen sogenannten Statistiken aus dubiosen Quellen wurde in der Vergangenheit viel Schindluder getrieben. Kann sich noch jemand erinnern, wie uns eingepaukt wurde, ein Staat kann nicht pleitegehen ...?

Klaus Sadowski, Berlin-Steglitz

Sehr geehrter Herr Sadowski,

Statistiken haben Schwächen und wie Sie zu Recht betonen, soll man nicht jeder Statistik blind vertrauen oder außer Acht lassen, dass deren Ergebnisse meist Durchschnittswerte sind.

Bei der Beurteilung der Freizeit von Arbeitnehmern im europäischen Vergleich sollte nicht isoliert der Urlaub, sondern auch die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit betrachtet werden. Laut der Studie beträgt die tariflich vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit in Deutschland durchschnittlich 37,7 Stunden, die geleistete Arbeitszeit liegt bei 40,5 Stunden. Die Studie zeigt auch auf, dass wir in der Woche genauso lange arbeiten wie unsere Nachbarn aus Polen, Bulgarien sowie dem Vereinigten Königreich und deutlich länger als zwei Drittel der EU-Mitgliedstaaten.

Der Eindruck, dass jeder deutsche Arbeitnehmer über 30 Arbeitstage Urlaub im Jahr verfügt, ist verfehlt. Das Bundesurlaubsgesetz sieht mindestens 24 Werktage im Jahr als Urlaub vor, wobei der Samstag als Werktag gilt. Da in den meisten Branchen die Fünftagewoche vereinbart ist, beträgt der Mindesturlaub in der Regel 20 Arbeitstage pro Jahr. Das gewährleistet, dass allen Arbeitnehmern einheitlich vier Wochen Urlaub im Jahr zustehen. Zudem stehen schwerbehinderten Menschen fünf zusätzliche Urlaubstage zu.

Die Tarifparteien vereinbaren häufig mehr Urlaubstage und weichen vom gesetzlichen Mindeststandard ab. Ein Großteil der tariflich gebundenen Unternehmen hat in ihren Tarifverträgen Urlaubsansprüche von bis zu 30 Arbeitstagen vereinbart. Dies gilt für die Metall- und Chemieindustrie, aber auch für das Versicherungs- und Bankgewerbe. Auch in Arbeitsverträgen machen Arbeitgeber oft davon Gebrauch, ihren Mitarbeitern mehr als den gesetzlichen Mindesturlaub zuzugestehen. Die Anzahl der Urlaubstage hängt meist von der Größe des Unternehmens ab. Kleinen Unternehmen dürfte es personell und finanziell schwerer fallen, ihren Arbeitnehmern die gleiche Anzahl an Urlaubstagen zu gewähren wie große Unternehmen.

Beachtet man diese Besonderheiten, ist die Annahme eines Durchschnittswertes von 30 Arbeitstagen Urlaub im Jahr aus meiner Sicht realistisch.

Ich stimme Ihnen zu, dass wegen der unterschiedlichen Feiertagsregelungen der Bundesländer die tatsächliche Zahl der freien Arbeitstage stark variieren kann. Ein Arbeitnehmer aus Bayern kann bis zu 40 Arbeitstage im Jahr frei haben, da Bayern mit zehn Feiertagen die meisten Feiertage in Deutschland hat. Berlin hat nur sechs Feiertage. Die Anzahl der Urlaubs- und Feiertage hat nur einen geringen Einfluss auf die Produktivität, wie sich aus der Studie des Eurofound ergibt. Länder mit einer hohen Wochenarbeitszeit und wenig Urlaubstagen sind nicht automatisch produktiver. Dennoch belegen neue Studien ebenfalls, dass Arbeitnehmer, die auf Urlaub verzichten, mitunter weniger produktiv sind als Arbeitnehmer, die sich im Urlaub erholen. Dies hat der Gesetzgeber erkannt und in Paragraf 8 des Bundesurlaubsgesetzes festgelegt, dass Arbeitnehmer während des Urlaubs keiner dem Urlaubszweck widersprechenden Erwerbstätigkeit nachgehen dürfen.

Abschließend eine kleine Ergänzung: Spitzenreiter bei der Anzahl der Feiertage ist nicht das Bundesland Bayern, sondern die Stadt Augsburg, die am 8. August das Hohe Friedensfest feiert, ein auf das Stadtgebiet Augsburg beschränkter gesetzlicher Feiertag.

— Bernhard Steinkühler, Fachanwalt für

Arbeitsrecht in Berlin

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