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Ein Bus der Linie Bukarest-Dortmund.

© dpa

Armutsmigration: Politik der Vereinfachung

Statt sich in den zahlreichen Facetten großer Probleme zu verheddern, rückt die Politik lieber Randproblemen zu Leibe – und vermittelt manchem Bürger so vielleicht gerade noch den Eindruck, sie würde handeln

Betrug ist zu unterbinden, Betrüger sind zu bestrafen.

Darauf hat sich die neue Regierung nach einer hitzigen Debatte um eine möglicherweise steigende Zahl von Armutsmigranten aus Bulgarien und Rumänien als Folge der Arbeitnehmerfreizügigkeit auch für diese Länder geeinigt. Und es scheint, als seien die Koalitionäre auf diese Einigung direkt ein wenig stolz.

Betrug unterbinden, Betrüger bestrafen. So weit, so richtig. Aber: so selbstverständlich doch bitte schön auch. Diese Einigung ist wohl kaum eine, die die Bezeichnung verdiente. Stattdessen sieht es so aus, als sei Politik wieder einem alten verführerischen Muster gefolgt. Einem Muster allerdings, dessen Charme nicht durch seine Schwächen aufgewogen wird. Das Muster geht so: Man nehme aus einem großen, komplexen Thema ein übersichtliches Kleinteil heraus und erkläre das zum Hauptproblem. Aus dem Problem von europäischer Binnenintegration bei verweigerter Angleichung der Sozialpolitik wurde so in den vergangenen Wochen kurzerhand das Problem betrügerischer Roma-Banden – und schon war es übersichtlich und lösbar. Plötzlich konnte man vollmundig Strafen formulieren und ausschmücken und sich dabei wohl- und überlegen fühlen. Wie anders wäre das, wenn man aufgefordert wäre, einen Ausweg aus dem Wohlstandsgefälle innerhalb der Europäischen Union vorzuschlagen? Ach nö, viel zu komplex.

Nach demselben Prinzip wird regelmäßig aus der Debatte um die Zukunftsfähigkeit des deutschen Bildungswesens ein Gezänk über unbeschulbare, weil extrem bildungsfern aufgewachsene muslimische Migrantenkinder. Auch da ist es einfacher, diese missratenen Kinder und ihre Familien zum Hauptproblem zu erklären und den großen komplizierten Rest zu vernebeln oder ganz vergessen zu machen.

Statt sich in den zahlreichen Facetten großer Probleme zu verheddern und keine simple Lösungformel mehr zustande zu bekommen, rückt man lieber Randproblemen zu Leibe – und vermittelt manchem Bürger so vielleicht noch den Eindruck, man handele.

Auch Berlins innerstädtisches Problem des Radverkehrs wurde so erledigt. Statt die mangelhafte Ausstattung der Stadt mit nutzbaren Radwegen anzuerkennen und diesen Mangel zu beheben, erklärt man kurzerhand den Kampfradler zum eigentlichen Problem – um sich danach in möglichen Bestrafungsszenarien zu verlieren.

Es ist sicherlich verständlich, wenn Menschen sich den einfachsten Weg durch ein Gestrüpp bahnen wollen, und die Evolution gibt dieser Methode auch recht. Aber von Politik wird dann doch ein Quäntchen mehr erwartet als das schnelle Durchschlagen einer Problemzone. Politik ist der Aufruf zum klugen Handeln. Und klug ist das Hervorzerren des am ehesten zur schlichten Parole geeigneten Problemzipfels nicht. Es ist vielmehr fahrlässig, weil es am Ende dazu führt, das eine falsche Einschätzung zur maßgeblichen wird. Und ist das erst geschehen, wird am Ende Minderheitenpolitik für die Mehrheit gemacht.

Die Mehrheit der Einwanderer und Arbeitsmigranten in Deutschland hat Probleme mit Bürokratie, mit der Anerkennung von Berufsabschlüssen, mit latenter Diskriminierung in einem wenig einwandererfreundlichen Land. Das ist, besonders in einer Gesellschaft, deren Überalterung beständig beklagt wird, das große Problem. Das kleine ist der Sozialbetrug. Beide Probleme müssen gelöst werden, aber doch beide mit der jeweils angemessenen Anstrengung. Nicht für das kleine Problem so viel Aufmerksamkeit verbrauchen, dass für das große keine mehr übrig ist. Unbeschulbare, kaum integrierbare Migrantenkinder sind ein Problem, aber darüber hinaus darf man nicht vergessen, dass die große Herausforderung für Deutschlands Zukunft in der Konkurrenzfähigkeit im Vergleich zu anderen großen Fortschrittsnationen liegt – und darum vor allem wichtig ist, wie Universitäten ausgestattet werden und nicht, wie die schlechtesten Schüler zu zweitschlechtesten werden. Wobei das auch eine Herausforderung ist. Aber die für die zweitgrößte Anstrengung.

Der Wunsch nach einfachen Lösungen wirkt, so sieht es durchaus aus, in verhängnisvoller Weise zurück auf das Problembewusstsein. Man beschäftigt sich am liebsten mit den Problemen, deren Lösungen auf der Hand liegen. Was das umgekehrt bedeutet, zeigt die Eurokrise, die sich mit geballter Kompliziertheit allen Zerlegungstricks widersetzte: Es fehlt an simplen Lösungsideen – und zugleich schwand allseits die Lust, sich weiter mit ihr zu beschäftigen.

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