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Meinung: Arzneimittel unter Verdacht: Rezept für Vertrauen

Die Alarmglocken klingeln, die Patienten laufen Sturm, ein viel verschriebenes Medikament hat tödliche Nebenwirkungen. In den USA sollen 31 Menschen gestorben sein, die das Präparat Lipobay eingenommen haben.

Die Alarmglocken klingeln, die Patienten laufen Sturm, ein viel verschriebenes Medikament hat tödliche Nebenwirkungen. In den USA sollen 31 Menschen gestorben sein, die das Präparat Lipobay eingenommen haben. Es handelt sich um ein Bayer-Präparat, das den Fettgehalt im Blut reduzieren soll. Hohe Cholesterinwerte sind riskant, sagen die Ärzte, Herzkreislaufbeschwerden bis hin zum tödlichen Infarkt oder Schlaganfall könnten die Folge sein. Gefährdet sind vor allem übergewichtige und ältere Menschen mit ramponierten Gefäßen, hohem Blutdruck oder Diabetes.

Die Zahl der Betroffenen ist groß und nimmt mit steigender Lebenserwartung immer mehr zu. Es handelt sich also um ein Gesundheitsproblem ersten Ranges, für das es jedoch Abhilfe gibt. Mit bestimmten Medikamenten, so genannten Statinen, lasse sich der Cholesterinspiegel wirkungsvoll senken, sagen die Mediziner.

"Keine Wirkung ohne Nebenwirkung", die alte Weisheit gilt nach wie vor - trotz der hohen gesetztlich Hürden, die für die Zulassung von Arzneimitteln gelten. Zentraler Punkt sind dabei die klinischen Studien, in denen Wirksamkeit und mögliche Gesundheitsgefahren eines neuen Wirkstoffes belegt werden müssen.

Die zuständigen Behörden überprüfen und bewerten die vom Hersteller eingereichten Unterlagen. Ist verhältnismäßig hoher Nutzen bei relativ geringem Risiko zu erwarten, kommt es zur Zulassung. Dies bedeutet jedoch keine Gewissheit, dass die Patienten nicht viel schwerere Nebenwirkungen erdulden müssen, als es die Studien auswiesen. Denn sehr seltene Ereignisse, die vielleicht einmal unter Millionen von Fällen auftreten, können durch das Sieb der klinischen Prüfungen fallen. Das ist eine Frage der Statistik.

Vor dem Griff zum Rezeptblock werden verantwortungsbewusste Ärzte zur gesunden Lebensweise raten. Bleibt der Erfolg aus und der Cholesterinspiegel hartnäckig hoch, so werden Statine verschrieben. Im Falle von Lipobay ist dies bei weltweit sechs Millionen, in den USA bei etwa 1,2 Millionen Patienten geschehen. Jetzt sind bei dem Medikament sehr schwere Nebenwirkungen bekannt geworden.

Kann man zur Tagesordnung übergehen, weil die US-Aufsichtsbehörde FDA Alarm geschlagen und der Hersteller das Präparat weltweit zurückgezogen hat? Sollen die Ärzte einfach das nächste "nebenwirkungsarme" Statin verschreiben, bis auch hier Patienten sterben? So leicht darf es sich kein Arzt machen, in jedem Fall wird er das Risiko abwägen müssen.

Um ein zweites Netz zu spannen, sind die Ärzte angehalten, "unerwünschte" Ereignisse zu melden. Häufen sich diese Meldungen oder werden schwere Zwischenfälle registriert, können die Vorschriften verschärft werden. Oder das Medikament wird völlig vom Markt genommen. Offensichtlich haben die Sicherungen im Falle des Bayer-Präparats erst sehr spät gegriffen. Hätte man schneller reagieren können? Dass Statine im Allgemeinen und Lipobay im Besonderen Muskelprobleme hervorrufen, war bekannt und im Beipackzettel aufgeführt. Auch vor gefährlichen Kombinationen mit einem anderen Cholesterinsenker hatte der Hersteller gewarnt. Von Todesfällen war bisher nichts bekannt, bis die FDA die Zahlen präsentierte. Demnach sind durchschnittlich fünf von 200 000 Patienten, die Lipobay einnahmen, gestorben. Der kausale Zusammenhang ist zwar noch nicht bewiesen, doch wer will ein weiteres Risiko eingehen? Bayer offensichtlich nicht, auch wegen der zu erwartenden Schadensersatzklagen.

Nach dem Lipobay-Rückzug werden die Statine verschärft beobachtet. Ob Gefahren schneller erkannt werden, wenn die Patienten selbst - etwa über Verbraucherorganisationen - mitmischen, ist fraglich. Vertrauen könnte so zurückgewonnen werden, mehr nicht.

Paul Janositz

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