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Abgestempelt: Fehlt es der Ausländerbehörde an Willkommenskultur?

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Asylpolitik: Das deutsche Ausländerrecht schadet allen

Das Ausländerrecht in Deutschland ist zu restriktiv – Motivation und Energie kommt Asylbewerbern beim monate- oder gar jahrelangen Warten abhanden. Ihr Potenzial wird vergeudet. Unsere Autorin macht ein paar Vorschläge, wie man das ändern kann.

Von Fatina Keilani

These: Das Ausländer- und Asylrecht in seiner derzeitigen Form bringt zu viele Nachteile für alle Beteiligten – den Ausländer, den Staat, die Gesellschaft, den Steuerzahler. Es muss deshalb grundlegend verändert werden.
Es gibt Ausländer, die wir brauchen (Fachkräfte), und es gibt Ausländer, die uns brauchen (Asylbewerber, Flüchtlinge). Wir trennen sie rechtlich sauber. Dabei gibt es interessante Schnittmengen. Diese werden jedoch überhaupt nicht beachtet – und das ist eine vertane Chance für beide Seiten.

Wenn ein Flüchtling nach Deutschland kommt und Asyl beantragt, beginnt sein Asylverfahren. Das bedeutet: Er wird über den Verteilungsschlüssel einem bestimmten Ort in Deutschland zugewiesen, wo er sich aufzuhalten hat, bis sein Antrag beschieden ist. Für diese Zeit erhält er eine – Achtung, Rechtsdeutsch – Aufenthaltsgestattung. In der Zeit des Wartens auf den Bescheid darf er nicht arbeiten, muss im Wohnheim wohnen und bekommt keinen Deutschkurs bezahlt.

Der Antragsteller soll nicht heimisch werden

Ein Grundgedanke des Asylrechts ist dabei: Der Antragsteller soll hier nicht heimisch werden, denn die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sein Antrag abgelehnt wird. Er darf neun Monate lang nicht arbeiten – diese Frist wird demnächst auf drei Monate gesenkt –, danach nur, wenn kein Bevorrechtigter den Job will. In dieser Zeit soll das Verfahren abgeschlossen sein, was es aber in der Regel nicht ist. Der Durchschnitt für Asylverfahren liegt nach Angaben des zuständigen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) bei sechseinhalb Monaten – das ist aber eben ein Durchschnittswert. In Wahrheit gehen einige Verfahren sehr schnell, andere dauern sehr lange. Der anfangs motivierte und leistungswillige Asylbewerber muss viel Zeit totschlagen, ohne zu wissen, was aus ihm wird, und wird darüber körperlich krank oder depressiv. Es wird ihm keine Gelegenheit gegeben, sich fit für den Arbeitsmarkt zu machen. Daran will die Bundesregierung auch ausdrücklich nichts ändern, bekräftigte sie erst im vergangenen Juni in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Linken. Das allerdings ist kurzsichtig, jedenfalls in unserem wirtschaftlich starken Land. Was wäre so schlimm daran, wenn die Menschen das Land, das sie in schwierigen Zeiten gerettet hat, als freundlich empfinden und ihr Leben hier als eine Sache, die sie maßgeblich selbst gestalten können? Selbst wenn sie dann nach Jahren in ihre Heimat zurückkehren, etwa weil der Krieg vorbei ist – dann haben beide Seiten profitiert. Wir haben geholfen und hatten sogar etwas davon, und den Menschen wurde geholfen, ohne dass sie das beschämende Gefühl haben mussten, uns auf der Tasche zu liegen und jeder Eigeninitiative beraubt zu sein. Und wenn sie sich gut integrieren und hier bleiben – auch gut.

In vielen Fällen reisen abgelehnte Asylbewerber nicht aus

Irgendwann hat das Warten ein Ende, und der Asylbewerber bekommt seinen Bescheid. Dann endet sein Verfahren. Entweder wird er anerkannt und bekommt eine Aufenthaltserlaubnis für zunächst drei Jahre sowie vollen Zugang zum Arbeitsmarkt. Oder er wird abgelehnt, dann muss er ausreisen oder wird abgeschoben. In vielen Fällen reisen abgelehnte Asylbewerber allerdings nicht aus, sondern erhalten eine Duldung – weil Papiere fehlen oder weil die Abschiebung aus humanitären Gründen unverantwortlich wäre. Nach Aussage der Berliner Integrationsbeauftragten bleiben 80 Prozent der Antragsteller hier.

Duldung bedeutet, dass die Abschiebung ausgesetzt ist. Sie gilt für sechs Monate, danach muss sie entweder verlängert werden, oder die Person muss ausreisen. Oft kommt es zu den sogenannten Kettenduldungen, das heißt, die Duldung wird immer wieder verlängert, der geduldete Mensch muss weiter sein Leben im Wartestand verbringen, obwohl eigentlich schon jeder ahnt, dass er in Deutschland bleiben wird. Ende April lebten laut Ausländerzentralregister 102 465 Personen mit Duldung in Deutschland.

Erst nach vier Jahren hat der Geduldete Zugang zum Arbeitsmarkt

Der Grundgedanke des Asylverfahrens gilt weiter: Sie sollen nicht heimisch werden, schließlich leben sie hier auf Abruf, und deshalb bekommen sie keinen Integrationskurs.

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist so geregelt, dass an erster Stelle deutsche, europäische und ihnen gleichgeordnete bevorrechtigte Bewerber stehen, und erst wenn kein anderer den Job will oder dafür geeignet ist, darf der Geduldete ihn übernehmen. Erst nach vier Jahren in Deutschland hat der Geduldete genau wie neuerdings der Asylbewerber vollen Zugang zum Arbeitsmarkt.

Wohnt ein Geduldeter in einem Gebiet mit hoher Arbeitslosigkeit und findet er keinen Job, kann er nicht einfach umziehen, denn er unterliegt der Residenzpflicht. Seinen Lebensunterhalt bestreitet dann der Steuerzahler; die Höhe der Leistungen gleicht dem, was Asylbewerber bekommen. Nur zu gerne kämen die meisten Geduldeten aus dieser Situation heraus, doch aus der Duldung kommt man nicht in einen regulären Aufenthaltsstatus. Das muss sich ändern. Bisher kamen langjährig Geduldete höchstens einmal über Stichtagsregelungen in den Genuss eines Bleiberechts, doch das ist rechtlich unberechenbares Stückwerk. Es muss deshalb eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden, die Geduldeten den Weg zum Titel ebnet.

Das derzeitige Recht stößt schnell an seine Grenzen

Das könnte sogar Kriminalität verhindern, denn auch die berüchtigten arabischen Clans haben ihr kriminelles Wirken meist aus einem Leben in der Duldung begonnen – in der Gewissheit, dass es auf legalem Wege wohl nicht so schnell klappt mit der Ankunft in unserer Gesellschaft.

Junge Leute haben es etwas besser: Eine duale Ausbildung darf schon nach zwölf Monaten angetreten werden. Da es dem Lehrling und seinem Lehrherrn allerdings jederzeit passieren kann, dass die Duldung nicht verlängert wird, ist es für Betriebe oft unattraktiv, einen Geduldeten auszubilden. Zumal nicht gesagt ist, dass der Ausbildungsbetrieb den Lehrling, in den er investiert hat, später übernehmen kann – vielleicht bekommt dieser keine Arbeitserlaubnis oder wird doch noch abgeschoben.

Am Jahresende waren von den damals 94.508 Personen mit einer Duldung 22.361 schon seit über zehn Jahren in Deutschland – fast jeder Vierte. Das ist für alle Beteiligten eine Zumutung: den Geduldeten genau wie den Steuerzahler.

Keine Freizügigkeit in Europa

Demgegenüber ist der anerkannte Asylberechtigte privilegiert; sein Status ist sogar höher als der eines normalen Ausländers. Sein Titel heißt nun Aufenthaltserlaubnis, und er hat vollen Zugang zum Arbeitsmarkt. Allerdings hat er keine Freizügigkeit in Europa. Hätte er sie, würde den deutschen Verwaltungsgerichten viel Arbeit erspart, die als Folge der Dublin-Regelung dort ankommt. Das Dublin-Verfahren soll sicherstellen, dass jeder Asylantrag nur durch einen Staat geprüft wird. Erreicht also ein geflüchteter Afghane als Erstes Bulgarien und stellt dort seinen Antrag, und taucht dieser Afghane dann später in Deutschland auf, muss er nach Bulgarien rücküberstellt werden. Viele Flüchtlinge wollen das aber nicht und tauchen unter. So können sie keine Legalität mehr erreichen. Sie wandern durch Europa und kommen nie irgendwo an. Hätten anerkannte Flüchtlinge Freizügigkeit, könnten sie den Bescheid aus Bulgarien abwarten und dann in der Legalität in ein anderes Land weiterreisen.

Das derzeitige Recht stößt schnell an seine Grenzen, wenn etwas nicht nach seinem Schema abläuft. Es können unter den Asylbewerbern durchaus Fachkräfte sein, die wir brauchen. Doch sobald sie das Wort „Asyl“ ausgesprochen haben, gibt es im deutschen Recht keine Chance mehr für sie, hierzubleiben, wenn sie nicht politisch verfolgt sind. Endet also das Asylverfahren mit einer Ablehnung, etwa weil der Antragsteller nur auf der Suche nach einem besseren Leben ist – ein Wirtschaftsflüchtling also –, dann wird er abgelehnt und bekommt im besten Falle eine Duldung, mit den beschriebenen Nachteilen. Da kann er noch so qualifiziert sein.

Motivation und Energie kommt abhanden

Das schadet allen: Wir brauchen die Fachkräfte, und die Flüchtlinge sehnen sich nach einem freien und selbstbestimmten Leben. Sie haben Motivation und Energie, beides kommt ihnen beim monate- oder gar jahrelangen Warten abhanden. Eine Möglichkeit zum Umstieg vom Asylverfahren ins normale ausländerrechtliche Verfahren muss deshalb dringend geschaffen werden.

So viel zum Asylrecht. Doch auch das Ausländerrecht, das wie erwähnt rechtssystematisch getrennt ist, macht es qualifizierten Menschen zu schwer, hier Erfolg zu haben. Es ist viel leichter, über den Familiennachzug in unsere Sozialsysteme einzuwandern als in den Arbeitsmarkt. Dabei wirbt Deutschland mittlerweile recht massiv um Zuwanderer, etwa auf der Webseite mit dem amerikanisch anmutenden Namen „Make-it-in-Germany.com“. Dort heißt es zum Beispiel: „Sie haben an einer deutschen Hochschule erfolgreich ein Studium absolviert? Dann können Sie in Deutschland eine Arbeit annehmen, die Ihrem Studium angemessen ist. Den benötigten Aufenthaltstitel bekommen Sie bei der zuständigen Ausländerbehörde.“

Klingt gut, aber was „angemessen“ ist, entscheidet die Behörde. So darf ein Architekt ausländischer Herkunft zum Beispiel nicht als Verkaufsleiter für eine Firma arbeiten, ein Deutscher hingegen schon. Was soll das? Warum reicht es nicht, dass ein Ausländer, der hier studiert hat und bleiben will, sich selbst ernähren kann? Das darf er nur während der Jobsuche. Wer nach dem Studium einen Arbeitsplatz sucht, hat dafür 18 Monate Zeit und darf in dieser Zeit jeden Job machen, um seinen Lebensunterhalt zu sichern. Danach darf er nur noch eine „seiner Qualifikation entsprechende“ Arbeit ausüben. Die Alternative: Er muss das Land verlassen. Dann hat er uns eine Menge Geld gekostet; sein Potenzial wird anderswo genutzt. Das ist unbefriedigend.

Glück haben derzeit einige Syrer. Wer zu dem Kontingent gehört, das von Deutschland zusätzlich aufgenommen wird, bekommt sofort eine auf zwei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis, Zugang zum Arbeitsmarkt, Anspruch auf einen Integrationskurs und auf Sozialleistungen. Kürzlich gab es die Nachricht, dass Deutschland nach den USA das zweitgrößte Einwanderungsland sei – noch vor Australien oder Kanada. Schaut man genauer hin, zeigt sich allerdings, dass es dabei um eine europäische Binnenwanderung handelt, ausgelöst durch die Not in vielen EU-Ländern. Diese Art von Zuwanderung vollzieht sich unbürokratisch, es ist kein Visum und keine Arbeitserlaubnis nötig.

Die neue Bleiberechtsregelung wirkt wie Hohn

Ganz anders und viel schlechter sieht es aus, wenn ein Ausländer, der kein EU-Bürger ist, einwandern und hier arbeiten will. Wer aus den USA, Japan oder Israel kommt, darf immerhin ohne Visum einreisen und dann vom Inland aus die Arbeitserlaubnis beantragen. Alle anderen brauchen ein Visum. Haben sie das falsche Visum, das zum Beispiel nur für einen Kurzaufenthalt gilt, ist vom Inland aus kein Wechsel zum Dauervisum möglich. Warum eigentlich nicht? Die Voraussetzungen müssen ja trotzdem erfüllt werden – etwa, dass der Ausländer seinen Lebensunterhalt selbst bestreitet. Es ist nicht zu erkennen, welche Nachteile es für Deutschland hätte, flexibler zu sein. Das deutsche Ausländerrecht bietet laut der Berliner Integrationsbeauftragten Monika Lüke knapp 140 verschiedene Möglichkeiten für Aufenthaltstitel. Wozu? Lüke verweist auf Schweden: Dort sei es schneller, flexibler, es gebe weniger verschiedene Aufenthaltstitel, und der bei uns unmögliche Wechsel zwischen Asylverfahren und Ausländerrecht ist möglich.

Fast schon wie Hohn wirkt da die geplante neue Bleiberechtsregelung. Darin soll geregelt werden, dass langjährig Geduldete, die aus eigener Kraft eine Integrationsleistung erbracht haben, in einen regulären Aufenthaltsstatus übernommen werden können. Sie müssen mindestens vier Jahre hier leben, straffrei geblieben sein, passabel deutsch können, ihren eigenen Lebensunterhalt bestreiten und sich zum Grundgesetz bekennen. Und jetzt der Witz: Dann dürfen sie endlich einen Integrationskurs machen.

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