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Meinung: Atomterror ist nicht Science-Fiction

Fünf Vorschläge, wie sich die Weltgemeinschaft vor Megaanschlägen schützt Von Kofi Annan

Vor einem Jahr wurden 191 unschuldige Menschen bei den Terroranschlägen auf die Madrider Vorortzüge brutal getötet. In allen Teilen der Welt wurden in den letzten Jahren mehrere tausend Menschen Opfer des Terrorismus.

Terrorismus ist eine Bedrohung für alle Staaten und Völker. Er ist auch ein direkter Angriff auf die Grundwerte, für die die Vereinten Nationen stehen: Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Schutz von Zivilisten, gegenseitiger Respekt von Menschen unterschiedlichen Glaubens und verschiedener Kulturen sowie die friedliche Lösung von Konflikten.

Die Vereinten Nationen müssen bei der Bekämpfung des Terrorismus eine Führungsrolle einnehmen. Wir benötigen eine prinzipientreue und umfassende Strategie, die die gesamte Welt unterstützen und umsetzen kann. Deshalb mache ich fünf Vorschläge:

Erstens müssen wir desillusionierte Gruppen davon abbringen, Terrorismus als ihre Methode zu wählen. Sie setzen darauf, weil sie ihn als effektiv ansehen und glauben, so Unterstützung gewinnen zu können. Solche Vorstellungen sind die Grundursache für den Terrorismus und wir müssen sie davon überzeugen, dass dies der falsche Weg ist. Zu lange ist die moralische Autorität der Vereinten Nationen durch die langwierige Debatte geschwächt worden, was Terrorismus ist – ob Staaten oder nichtstaatliche Gruppen des Terrorismus bezichtigt werden können und ob Widerstandshandlungen gegen eine externe Besatzungsmacht auch als terroristische Akte gelten. Es ist Zeit, diesen Streit zu beenden. Vorsätzliche Gewalt von Staaten gegen Zivilisten ist bereits durch das Völkerrecht verboten, und das Recht auf Widerstand kann nicht das Recht beinhalten, vorsätzlich Zivilisten zu töten oder zu verletzen.

Jede Handlung ist ein terroristischer Akt, wenn dadurch Zivilisten getötet oder verletzt werden sollen, wenn Menschen eingeschüchtert und Regierungen oder internationale Organisationen dazu gezwungen werden sollen, etwas zu tun oder etwas zu unterlassen. Eine solche Definition hätte stärkere moralische Kraft und ich fordere die Staats- und Regierungschefs auf, sich hinter eine solche Definition zu stellen.

Zweitens müssen wir den Terroristen die Möglichkeit nehmen, Anschläge zu verüben. Es muss für sie schwierig werden zu reisen, finanzielle Unterstützung zu erhalten und nukleares oder radioaktives Material zu erwerben.

Terroristische Anschläge mit nuklearem Material werden oft als Science-Fiction abgetan. Ich wünschte, dass es so wäre. Aber leider leben wir in einer Welt mit vielen gefährlichen Stoffen und großem technologischen Know- how, und einige Terroristen sind fest entschlossen, für eine möglichst hohe Opferzahl zu sorgen.

Sowohl die G 8 als auch der UN-Sicherheitsrat haben Schritte eingeleitet, um den Umgang mit gefährlichen Stoffen einzudämmen, effektive Exportkontrollen einzuführen und Lücken bei der Nichtverbreitung zu schließen. Die Initiative von US-Präsident Bush zur Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen ist ein wichtiger Schritt. Diese Maßnahmen müssen vollständig umgesetzt werden.

Drittens müssen wir Staaten davon abhalten, Terrorgruppen zu unterstützen. In der Vergangenheit hat der Sicherheitsrat wiederholt Sanktionen gegen Staaten verhängt, die Terroristen Unterschlupf gewähren oder sie unterstützen. Diese strenge Vorgehensweise müssen wir beibehalten und verstärken. Allen Staaten muss bewusst sein, dass die Weltgemeinschaft hart durchgreifen wird, wenn sie Terroristen in welcher Form auch immer unterstützen.

Viertens müssen wir die Kapazitäten der Staaten im Bereich der Terrorismusverhütung weiter ausbauen. Terroristen nutzen schwache Staaten als Zufluchtsort, wo sie Gefolgsleute ausbilden oder anwerben, oder sich verstecken können, um einer Verhaftung zu entgehen. Daher muss eine Stärkung der Kapazitäten und Eigenverantwortung aller Staaten einen wesentlichen Bestandteil unserer globalen Bemühungen in der Terrorismusbekämpfung darstellen.

Das bedeutet auch, mit Hilfe professioneller Polizei- und Sicherheitskräfte, die die Menschenrechte achten, eine verantwortungsvolle Regierungsführung und die Rechtsstaatlichkeit zu fördern.

Diese Notwendigkeit wird angesichts der drohenden Gefahr des biologischen Terrorismus besonders deutlich. Bald wird es weltweit zehntausende Labors geben, die in der Lage sind, „Designerviren“ mit furchterregendem tödlichen Potenzial herzustellen. Tödliche Infektionskrankheiten können innerhalb weniger Tage absichtlich oder unabsichtlich quer über den Globus verbreitet werden.

Die beste Verteidigung gegen diese Gefahren ist die Stärkung der öffentlichen Gesundheitssysteme, und dies vor allem in den armen Ländern, in denen sie oft unzureichend sind. Die Weltgesundheitsorganisation hat bei der Überwachung und Reaktion auf den Ausbruch tödlicher Krankheiten beeindruckende Arbeit geleistet. Bei einer überwältigenden Epidemie, ob auf natürliche Weise oder von Menschen verursacht, stehen die lokalen Gesundheitssysteme an vorderster Front. Es bedarf einer groß angelegten und umfassenden Initiative, um diese entsprechend aufzubauen.

Als letzte aber nicht minder wichtige Säule dieser Strategie gilt es, die Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen. Terrorismus ist ein direkter Angriff auf diese zentralen Werte. Aus diesem Grund dürfen sie in unserer Vorgehensweise nicht geopfert werden. Wenn dies geschieht, verhelfen wir den Terroristen zum Sieg. Die Aufrechterhaltung der Menschenrechte geht nicht nur mit einer erfolgreichen Antiterrorstrategie einher, sondern sie ist als eines ihrer wesentlichen Elemente zu werten.

Ich fordere alle UN-Abteilungen und -Organisationen auf, ihren Teil zur Umsetzung dieser Strategie beizutragen. Trotzdem obliegt die Hauptarbeit hier den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen. Ich appelliere daher eindringlich an sie, meine Fünf-Punkte-Strategie anzunehmen und gemeinsam an ihrer Umsetzung zu arbeiten.

Dies ist das Mindeste, das wir den Opfern des Terrorismus weltweit schuldig sind. Lassen Sie uns in ihrem Namen alles nur Erdenkliche tun, um anderen Menschen ein solches Schicksal zu ersparen.

Der Autor ist Generalsekretär der Vereinten Nationen.

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