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Meinung: Auf dem Rechtspfad

Guantanamo und Abu Ghraib: Die offene Gesellschaft zwingt Bush zu ersten Korrekturen

Gewinnt das Recht wieder die Oberhand über die Macht? Zumindest greifen spät zwar, aber endlich doch die Korrekturmechanismen, die einen demokratischen Rechtsstaat und eine offene Gesellschaft von einer Diktatur unterscheiden.

In Guantanamo, wo die Regierung Bush seit annähernd drei Jahren hunderte Verdächtige gefangen hält, ohne sie einem Richter vorzuführen, beginnen die ersten Vorverfahren gegen Häftlinge. In Mannheim werden US-Soldaten verhört, die mutmaßlich in die Misshandlungen im Bagdader Gefängnis Abu Ghraib verwickelt waren. Und in Amerika berichten die Zeitungen über einen Untersuchungsbericht, der der Pentagonführung eine Mitschuld an dem Folterskandal gibt.

Gegen die Hoffnung auf die uneingeschränkte Rückkehr zum Rechtsstaat spricht, dass die Regierung Bush ihr Vorgehen nicht grundsätzlich und auch nicht unbedingt aus Einsicht ändert. Sie wurde zu begrenzten Korrekturen gezwungen: erstens vom Obersten Gerichtshof der USA, der den Gefangenen von Guantanamo Anfang Juli das Recht auf einen Anwalt und eine gerichtliche Anhörung zusprach – wobei zu betonen ist, dass die aktuellen Vorverfahren auf Guantanamo bereits in Bushs Anordnung über die Militärkommissionen vom November 2001 vorgesehen waren; zweitens von einer amerikanischen Öffentlichkeit, die ebenso wie die übrige Welt entsetzt auf die Folterbilder aus Abu Ghraib reagierte; drittens vom Kongress, der eingehende Untersuchungen durchsetzte; und viertens von den Medien einer offenen Gesellschaft, die die kritischen Passagen interner Berichte zugespielt bekommen und veröffentlichen. Was jetzt in Guantanamo, Mannheim und Amerika geschieht, ist überfällig – aber immer noch weit entfernt von den Prinzipien, die ein Rechtsstaat normalerweise anwendet.

Das Recht jedes Bürgers, nicht ohne gerichtliche Untersuchung inhaftiert zu werden, ist eine fundamentale Errungenschaft der Neuzeit – so epochal wie für das Parlament das Budgetrecht. Die Gründungsväter Amerikas waren so stolz auf die britische Habeas-Corpus-Akte von 1679, dass sie sie in die US-Verfassung übernahmen. Nach heutigem Verständnis handelt es sich dabei nicht (wie im damaligen England) nur um ein Bürgerrecht, sondern um ein Grundrecht, das allen Menschen zusteht – aus deutscher Sicht weltweit, aus amerikanischer im Geltungsbereich der US-Gesetze; das war mit ein Grund, warum die Lager für Terrorverdächtige auf dem Militärstützpunkt Guantanamo auf Kuba eingerichtet wurden. Nach Bushs Willen sollten sie dort auf unbegrenzte Zeit ohne Anklage und Verfahren festgehalten werden können – oder eben vor eine Militärkommission gestellt werden. Nur die erste Variante hat der Oberste Gerichtshof eingeschränkt.

Der zweite Unterschied, der in Europa oft übersehen wird: Amerika sieht sich im Krieg. Auch in Deutschland würden manche Bürgerrechte im Kriegszustand eingeschränkt – freilich nicht so stark, wie das immer noch auf Guantanamo geschieht. Die Militärkommissionen arbeiten nach Militärrecht, nicht nach den Gesetzen einer Zivilgesellschaft im Frieden. Die Richter sind Offiziere, die Verteidiger haben keinen vollen Zugang zu den Unterlagen. Immerhin wird begrenzt Öffentlichkeit zugelassen, ebenso bei den Verfahren wegen der Abu-Ghraib-Misshandlungen in Mannheim. Das erlaubt eine gewisse öffentliche Kontrolle.

Amerika ist erst auf halbem Weg zurück zum Rechtsstaat, es sieht sich weiter auf dem Kriegspfad gegen den internationalen Terrorismus. Den Guantanamo-Häftlingen steht kein breiter Rechtsweg offen, nur ein schmaler Pfad. Die vollen Grundrechte versucht die Regierung Bush ihnen weiter vorzuenthalten. Jetzt gibt es aber Anlass zur Hoffnung, dass die Selbstreinigungskräfte der Demokratie mit der Zeit weitere Korrekturen erzwingen.

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