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Malte Lehming

© Kai-Uwe Heinrich

Auf den Punkt: Die große Gleichmacherei

Malte Lehming über Türken und Juden in Deutschland.

Ist es nicht seltsam? Wer Amerikaner werden will, muss keineswegs zum Liebhaber des Rodeoreitens mutieren, er braucht sich auch nicht zur Tradition des Wet-T-Shirt-Wettbewerbs beim alljährlichen Springbreak zu bekennen, und er darf ruhig weiter gegen die Todesstrafe wettern. Ob sich im Riesenreich der Einwanderer jemand integriert, wird in erster Linie an seiner Gesetzestreue gemessen, nicht an seiner Gesinnung. Nur in Deutschland, dem kleinen Land der großen Gleichmacherei, ist das anders. Hier werden unablässig Bekenntnisse verlangt, zu den spezifisch deutschen Werten etwa, dem Wirtsvolk und seiner Kultur. Das war schon so rund um den Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan, und nun ist es so rund um Integrations- und Islamkonferenz.

Im Visier der Gesinnungsschnüffler stehen besonders die Türken. Viele von ihnen haben ein etwas reicheres Gefühlsleben als der Durchschnittsdeutsche: Sie fühlen nämlich Sowohl-als auch, sowohl deutsch als auch türkisch. Bei Einwanderern ist das normal. In den USA gibt es welche in dritter und vierter Generation, die sich immer noch regelmäßig zum Schuhplattlern in Trachtenkleidern verabreden. Niemand nimmt Anstoß daran. Türken indes, die in Deutschland leben, aber Immanuel Kant nicht zitieren können, werden als nicht integrierbar eingestuft. Manchmal bezichtigt man sie auch der doppelten Loyalität und stellt sie vor die ultimative Entscheidung: entweder Hannover oder Istanbul. Sowohl-als auch? Das geht bei uns nicht.

Was sich vordergründig gegen die Türken richtet, hat - wie so oft in Deutschland - mit der Geschichte zu tun, und es zielt, wenngleich noch uneingestanden, gewissermaßen indirekt, auch gegen die hier lebenden Juden. Die Türken sind den meisten Deutschen ja relativ egal, aber dass sich deutsche Juden immerfort zu Israel äußern müssen, das ärgert sie schon lange. Von wegen doppelte Loyalität! Jeder Jude in Deutschland hat es schon mal erlebt, sich vor Deutschen für Israel rechtfertigen zu müssen oder, im Gegenteil, sich den Vorwurf anhören zu müssen, als deutscher Jude besondere Israel-Sympathie zu hegen. Ignatz Bubis hat viel über dieses Paradoxon gesprochen. Lösen lässt es sich nicht.

Und so könnte die ganze aufgeregte Integrationsdebatte durchaus der Auftakt für Ärgeres sein. Wenn sich erst einmal durchsetzt, dass nur der wirklich Deutscher sein kann, der sich mit Haut und Haaren und Leib und Seele diesem Land und allein diesem Land verschrieben hat, dann, ja dann hat hier bald keiner mehr etwas zu lachen. Was mit dem Zwang zum Gesinnungsbekenntnis beginnt, hat in Deutschland nie gut geendet.

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