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Auf den Punkt: Ehre vor Freiheit

Jost Müller-Neuhof über das Karlsruher Urteil zur Nazi-Verherrlichung

Jürgen Rieger ist tot, aber an diesem Dienstag wird er noch einmal kurz lebendig. Da schickt das Bundesverfassungsgericht dem gerade verstorbenen NPD-Vize und Neonazi-Anwalt einen Beschluss in die Gruft, wonach er vergeblich gegen die verschärften Vorschriften zur Volksverhetzung geklagt hat. Ja, die Meinungsfreiheit ist ein großes Grundrecht, heißt es da. Aber die Regel kennt auch eine große Ausnahme: Wenn jemand den Nazi-Terror feiert.

Ein in der Geschichte des Gerichts in jeder Hinsicht bisher einmaliger Vorgang. Tote kriegen sonst keine Post aus Karlsruhe. Riegers posthumer Prozessverlust zeigt, dass Wichtiges geschehen ist und Grundsätzliches zu klären war. Und tatsächlich ist es so. Vordergründig ging es um die penetranten sogenannten Gedenkveranstaltungen für den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß im oberfränkischen Wunsiedel, der letzten Ruhestätte des Spandauer Ex-Häftlings. Dorthin wallfuhren irregeleitete Glatzen und Schwarzjackenträger, weil Heß, anders etwa als Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß, als „Friedensflieger“ eine schillernde Figur des Nazireichs blieb und sich in seiner Person nicht nur das schlechthin Böse des Systems verkörperte. Rieger als einer der wenigen Neonazis, die nicht dumm waren, wusste immer, dass ein Heß-Spektakel eine veritable Provokation abgeben würde.

Und so reagierte die Politik auch: Mit einer nochmaligen Verschärfung des Volksverhetzungstatbestands. Aus guten Gründen ist daran viel kritisiert worden. Denn es handelt sich, wie das Bundesverfassungsgericht jetzt klarstellt, um ein Sondergesetz, das auf das Verbot einer bestimmten Meinung zielt. Ein Fremdkörper, wenn die Bundesrepublik eine freiheitlich-demokratische Grundordnung hätte wie viele andere Länder auch. Hat sie aber nicht. Sie hat einen Anti-Nazi-Grundordnung, sie ist das staatgewordene Gegenbild zu Hitlers Faschismus. Sagen zumindest die Verfassungsrichter.

Man muss diese Meinung aus Karlsruhe nicht in vollem Umfang teilen, um mit den Resultaten zufrieden zu sein. Das Urteil ist differenziert genug, damit die Ausnahme nicht zur Regel wird und "falsche" Meinungen künftig unter Strafdrohung stehen. Nicht jeder Nazi-Unsinn wird künftig wirksam verboten. Wohl aber, wenn er dem Horror allzu offensiv den Schrecken nehmen will, wie eben jene „Gedenkmärsche“. Wenn er die Täter in den Himmel hebt und die Opfer verhöhnt.

Jürgen Rieger, dies zum endgültigen Abschied, hat mit der Wahl seines Marschmottos dieses Jahr durchaus Wahres gesagt, nicht über Rudolf Hess, wohl aber über manchmal richtige Prioritäten: „Seine Ehre galt ihm mehr als die Freiheit“. Genau so ist es hier: Die Ehre der von den Nazis Ermordeten, der Frauen, der Männer, und der Millionen von Kindern, sie gilt uns mehr als die Meinungsfreiheit. Ehre vor Freiheit - ein Urteil, mit dem wohl auch ein Jürgen Rieger leben könnte. Aber er muss es ja nicht mehr.

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