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Moritz Schuller

© Doris Spiekermann-Klaas

Auf den Punkt: Körtings Geschichtsstunde

Moritz Schuller über die Roten und die Faschisten

Wer links ist, will differenzieren. Er hat den Anspruch, die Welt in ihrer ganzen Komplexität zu verstehen, und den Willen, die unterschiedlichen politischen Kräfte der Vernunft dialektisch auszudeuten. Deshalb gab es links die DKP, den KB, den Stamokap-Flügel, die Maoisten, die Stalinisten, die Trotzkisten, das SB, die Anhänger Titos, und natürlich die SPD. Rechts dagegen gibt es nur Faschisten.

Auch nach vielen Jahren in der Politik hat den Berliner Innensenator Ehrhart Körting von der SPD der Ehrgeiz nicht verlassen, theoretische Unterschiede zu benennen. Schon vor einigen Monaten gelang ihm ein Stück gesellschaftspolitischer Aufklärung mit folgender Bemerkung zu den Krawallen am 1. Mai: "Das ist wie bei Sexualdelikten: Ist die Frau erst mal ausgezogen und vergewaltigt, dann fällt es anderen leichter, auch mitzumachen."

Und weil der Vergleich so gut ankam, liefert Körting noch einen nach: Die Autonomen in Berlin bezeichnete er als "rot-lackierte Faschisten". Das ist keine Diffamierung der Autonomen, wie die Linke vermutet, sondern Dialektik: Linke, die Autos anzünden, sind Rechte. Rote können schließlich keine Faschisten sein, von diesem Gegensatz lebt Körtings Weltbild. Das Wort von den "rot-lackierten Faschisten" ist also eine Aufforderung an die Linke im Namen des Antifaschismus gegen die Autonomen vorzugehen. Er will die Linke zwingen, den Grundwiderspruch zwischen ihren beiden Lieblingsbeschäftigungen zu erkennen: ihre Unterstützung militanter Autonomer und dem antifaschistischen Kampf.

Es ist bewundernswert, wie theoretisch differenziert sich der Innensenator mit dem Phänomen linker Gewalt in der Stadt beschäftigt. Da verzeiht man ihm glatt, dass es beim Übergang von Theorie und Praxis, also beim praktischen Umgang mit dem Problem, noch ein wenig hapert.

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