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Auf den Punkt: Lücken in der Aufklärung

Carsten Brönstrup über den Mängelbericht zur S-Bahn

Es packt einen die Angst, liest man den Bericht über die Mängel bei der Berliner S-Bahn, den eine Anwaltskanzlei angefertigt hat. Denn er erlaubt einen Blick hinter die Kulissen eines Unternehmens und eines Systems, dem sich jeden Tag Tausende Fahrgäste anvertrauen, in dem Glauben, die Eisenbahn sei das sicherste aller Verkehrsmittel. Die Details, die der 61 Seiten dicke Bericht enthüllt, zeigt, dass die Leute einem Irrglauben aufsitzen.

Da ist beispielsweise der Hersteller der Züge, Bombardier. Er soll wichtige Teile falsch konstruiert haben. Die zuständige Behörde, das Eisenbahn-Bundesamt, hat die Fahrzeuge zugelassen, und die S-Bahn hat sie betrieben. Dass es sich bei der seit Ende der neunziger Jahre angeschafften Baureihe um Schrott ab Werk handelt, ist offenbar erst jetzt klar geworden. Das lässt Zweifel daran aufkommen, ob alle diese Institutionen ihren Job ernst nehmen. Und ob sie wissen, dass es um die Sicherheit von Menschenleben geht, nicht um die Modelleisenbahn im Keller.

Es gibt zudem die S-Bahn - offenbar ein Betrieb, in dem Chaos herrscht. Ein funktionierendes System der Qualitätssicherung gibt es nicht, die Organisation ist mangelhaft, über Jahre begingen die Beschäftigten dieselben Fehler. Feste Regeln für die Instandhaltung kannten die Beschäftigten offenbar nicht. Es gab "grundlegende Schwäche in der Unternehmenskultur", befindet der Bericht - und eine Konzernrevision, die von alldem nichts bemerkt hat. Verständlich, wer angesichts dieser eklatanten Lücken lieber zu Fuß geht.

Der Aufsichtsrat hat gleichwohl, so will es der Bericht glauben machen, von den Mängeln nichts bemerkt. Und der heftige Sparkurs war auch nicht die Ursache der Probleme. Spätestens an dieser Stelle zeigt sich, dass der Bericht von zweifelhafter Glaubwürdigkeit ist. Und dass es der Kanzlei, die ihn geschrieben hat, an Unabhängigkeit mangelt. Warum hat nicht das Bundesverkehrsministerium ein Gutachten bestellt? Oder der Bundesrechnungshof? So bleibt ein schaler Beigeschmack - dass das Mutterunternehmen, die Deutsche Bahn, eine Diskussion um die Privatisierung unbedingt vermeiden will.

Dabei scheint spätestens jetzt klar zu sein, dass jeder Tante-Emma-Laden größere Chancen auf einen Börsengang hat als der Staatskonzern in seinem aktuellen Zustand. "Bahnfahren ist und bleibt sicher", sagt Konzernchef Rüdiger Grube. Wer soll jetzt noch glauben, dass es in anderen Bereichen des riesigen Konzerns besser aussieht als bei der Berliner S-Bahn? Wer soll darauf hoffen, dass die ICE-Fernzüge über alle Zweifel an ihrer Sicherheit erhaben sind, wie die Bahn beteuert? Wer soll den Managern abnehmen, dass ihnen die Kunden über alles gehen - wenn sie nicht einmal in einem überschaubaren Betrieb wie der S-Bahn die Abläufe im Griff haben? Der Börsengang der Bahn ist eine große Utopie, und sie ist nicht einmal schlecht. In der Theorie. In der Praxis ist zu hoffen, dass sich das Unternehmen von fernen Träumen verabschiedet - und erst einmal sein Kerngeschäft in Ordnung bringt.

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