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Malte Lehming

© Kai-Uwe Heinrich

Auf den Punkt: Nokia lässt grüßen

Malte Lehming über die Stellenstreichungen der Deutschen Post in den USA

Wer einen Obstsalat betrachtet, darf schon mal Äpfel mit Birnen vergleichen. Der Apfel ist der finnische Telekommunikationskonzern Nokia. Der hatte zum 30. Juni 2008 sein Werk in Bochum geschlossen und die Produktion nach Rumänien verlagert, weil die Löhne dort erheblich niedriger sind und Steuernachlässe gewährt werden. 2000 Menschen in Bochum wurden arbeitslos.

Damals fegte ein Sturm der Empörung durch Deutschland. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück geißelte den "Karawanenkapitalismus" und warf den Finnen eine "Gefährdung der gesellschaftlichen Stabilität" vor. SPD-Fraktionschef Peter Struck sagte: "Was Nokia in Bochum vorhat, ist eine Riesensauerei. Ich habe heute mein Büro gebeten, mir ein anderes Handy zu besorgen." Verbraucherminister Horst Seehofer ließ für sein Ministerium prüfen, ob ein Boykott des Handy-Herstellers zulässig sei, denn: "Das Verhalten der Nokia-Manager erzürnt mich." SPD-Chef Kurt Beck sagte: "Der Verbraucher erwartet von einem Unternehmen, das in Deutschland produziert und dessen Produkte er kauft, zu Recht Verantwortung für den Standort." Nokia bekomme den "Rachen nicht voll". Und selbst FDP-Chef Guido Westerwelle nannte den Umgang der Konzernspitze mit den Beschäftigten "eine Sauerei".

Natürlich hatte die kollektive Empörung auch damit zu tun, dass Nokia für die Ansiedlung und Forschung sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen rund 50 Millionen Euro Subventionen erhalten hatte. Allerdings wurden die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft rasch eingestellt. Die Prüfung der Unterlagen habe "keine Anhaltspunkte für ein betrügerisches Verhalten" von Nokia ergeben, hieß es. Zum Glück für das Land Nordrhein-Westfalen zeigte sich das Unternehmen großzügig und stimmte einer außergerichtlichen Einigung zu. Gemeinsam gründete man ein Wachstumsprogramm für die Region in Höhe von 60 Millionen Euro.

Doch auch ohne den Subventionsstreit wäre die Wut des Volkes wohl ziemlich hochgekocht. Kein Wunder also, dass das Donnergrollen bei vielen Deutschen eine gewisse Xenophobie gegenüber ausländischen Produkten entfachte. In einer ARD-Umfrage aus der Zeit meinten 67 Prozent, sie wollten künftig nur noch in Deutschland produzierte Waren kaufen. Am Ende gab Nokia dem gewaltigen politischen Druck nach und zahlte 200 Millionen Euro Abfindung, rund 80.000 pro Mitarbeiter. Ein stolzer Betrag.

Kommen wir zur Birne: Die Deutsche Post AG, die zu knapp einem Drittel immer noch in Staatsbesitz ist, hat angekündigt, in den USA mindestens 15.000 Arbeitsplätze zu streichen. Zugegeben: Nicht Profitmaximierung leitet sie dabei, sondern Verlustminimierung. Doch das ist aus Sicht derjenigen, die arbeitslos werden und plötzlich vor dem Nichts stehen, irrelevant. Außerdem haben die Aktionäre jedes börsennotierten Unternehmens sowohl ein Recht auf Gewinnmaximierung als auch eines auf Verlustminimierung. Nein, das Management der Deutschen Post AG war miserabel, allein für das laufende Jahr rechnet der Konzern mit mehr als eine Milliarde Dollar Verlust bei seiner Tochter DHL.

Geschlossen werden soll unter anderem das DHL-Luftdrehkreuz in Wilmington (Ohio). Ohio hat eine der höchsten Arbeitslosenraten in den USA (7,2 Prozent im September), Wilmington wiederum ist eine Kleinstadt mit 12.000 Einwohnern. Beinahe jede Familie dort ist abhängig von DHL. Fred Wadsworth ist einer von rund 8000 DHL-Mitarbeitern, der jetzt seinen Job verliert. Gegenüber CNN sagt er, er wisse nicht mehr, wie er noch Essen auf den Tisch bringen soll. Und seine Kollegin Sherry Barrett meint: "Sie nehmen mir alles - meine Familie, meine Freunde, die ganze Stadt."

Deshalb: Ab jetzt sollten die Reaktionen diesseits und jenseits des großen Teiches genau beobachtet werden. Wieviel antideutsche Ressentiments werden US-Politiker wecken (Barack Obama hat sich im Wahlkampf sehr für Ohio stark gemacht)? Wieviel Druck werden sie ausüben, damit die amerikanischen Arbeitslosen anständig entschädigt werden? Und wie generös werden sich die Deutschen zeigen?

15.000 Mitarbeiter mal 80.000 Euro: Das sind 1,2 Milliarden Euro, die nun durchaus zu Recht von der Deutschen Post AG als Sozialplan gefordert werden dürfen. Jedenfalls, wenn man den in Deutschland seit Nokia üblichen Maßstab anlegt.

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