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Tissy Bruns

© Kai-Uwe Heinrich

Jugendkriminalität: Das Stigma als Trophäe

Was passiert, wenn muslimischer Fundamentalismus und Jugendkriminalität zusammen kommen? Laut Frank Schirrmacher eine Art tödliche Ideologie. Aber diese These ist banal und allzu steil.

Haben junge muslimische Gewalttäter begonnen, einen "Feind“ zu identifizieren?

Ja, sagt der Herausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Frank Schirrmacher, und das seien "die Deutschen". Schirrmacher meint, die Entstehung eines ideologischen Bandes unter diesen Gewalttätern beobachten zu können: Die Mischung aus Jugendkriminalität und muslimischem Fundamentalismus sei potenziell das, "was heute den tödlichsten Ideologien des zwanzigsten Jahrhunderts am nächsten kommt".

"Potenziell" hat Schirrmacher natürlich Recht. Denn unbestreitbar gibt es muslimischen Fundamentalismus und er hat eine erhebliche Attraktion auf junge Männer, die in religiös begründeter Gewalt ihren Weg aus Herabwürdigung und Demütigungen sehen. Seine Wirkung entfaltet er keineswegs nur in der arabischen Ferne, sondern, wie wir erfahren mussten, auch in Großbritannien oder Deutschland. Zwischen den islamistischen Terroristen und den Intensivtätern in Münchner U-Bahnen oder Berliner Bussen gibt es aber offenkundige Unterschiede.

Schirrmachers These ist zugleich banal und allzu steil. Banal, weil es die rassistisch unterlegte Anmache längst gibt, überall da, wo deutsche, russlanddeutsche oder türkischdeutsche männliche Heranwachsende aufeinander treffen. Sie ist schlimm genug, zum erheblichen Teil aber auch von der Qualität, die pubertierender männlicher Homophobie zu eigen ist. Es ist falsch und gefährlich, sie mit Tabus zu belegen. Die gibt es, zum Beispiel wenn junge Deutsche nicht wissen, wie sie sich gegen die Beleidigung ihre Schwester oder Freundin wehren können, ohne sich dem Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit auszusetzen. Wäre es umgekehrt nicht genauso gefährlich, jeden Krawallo, der aus gekränktem Minderwertigkeitsgefühl seinen Mitschüler als "Scheiß-Deutschen" anpöbelt, zum Mitläufer einer deutschfeindlichen Bewegung zu stempeln? Das Stigma kann sich schnell zur Trophäe entwickeln bei denen, die mit ihm belegt werden - so wie das Tabu untergründigen Rassismus nährt.

Zu steil ist Schirrmachers These auch aus einem anderen Grund: Die Bandenkriminalität in Berlin-Neukölln oder Hamburg-Wilhelmsburg trifft Deutsche. Aber sind die meisten Menschen, die in Deutschland von muslimischen Gewalttätern drangsaliert werden, nicht selbst Muslime?

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