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Malte Lehming

© Kai-Uwe Heinrich

Kommentar: Auf der Rasierklinge

Malte Lehming über Dagmar Metzger, die Rebellin der hessischen SPD.

Da spricht sie nun, eine einfache, klare, kluge Frau, die aufgeregt ist, weil sie zum ersten Mal im ganz grellen Rampenlicht sitzt. Nun soll keiner in seinen Vergleichen zu dieser Pressekonferenz zu hoch, zu pathetisch, zu historisch werden. Doch im hintersten Hinterkopf taucht unwillkürlich jener Schlusssatz auf, den Martin Luther beim legendären Reichstag zu Worms 1521 sprach: "Darum kann und will ich nicht widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun, weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir, Amen."

Weder sicher noch heilsam, wie wahr! Kurz zuvor hatte Dagmar Metzger ihrer hessischen SPD-Genossin Andrea Ypsilanti mitgeteilt, den frechen Wortbruch, der die linke Macht in Wiesbaden hätte sichern sollen, nicht mitzutragen. Und es muss Ypsilanti wie auch den obersten Chef, Kurt Beck, zutiefst beschämen, was Metzger zur Begründung sagt. Was vor der Wahl versprochen wurde, muss nach der Wahl gehalten werden, sagt sie, was nur deshalb sensationell klingt, weil Selbstverständlichkeiten in ihrer Partei nicht mehr selbstverständlich sind. Nie sei sie wankelmütig geworden, sagt Frau Metzger, und beruft sich auf ihr Gewissen. Außerdem erinnert sie in wenigen Sätzen an die Ideologie und Historie der Ultralinken, an Mauerbau, Teilung, die Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Mit denen zu paktieren, sei ihr wie ein "Ritt auf der Rasierklinge" vorgekommen.

Was dieser Frau nun aus den Kreisen der Ihren blüht ist klar: Ächtung, Schmähung, Unfriede. Dabei müssten sie ihr dankbar sein: Metzger hat ihre Partei wohl vor jenem Debakel bewahrt, das eingetreten wäre, wenn Rot-rot-grün tatsächlich versucht worden wäre. Sie hat den Heide-Simonis-Effekt verhindert. Doch das zu erkennen und zu würdigen, bedarf es eines ungetrübten Blickes, ungetrübt durch die Blendungen der Macht, durch die Versuchungen des skrupellosen Taktierens. Metzgers Auftritt war denkwürdig. Er gibt die Hoffnung zurück, dass Rechtschaffenheit und Anstand in der Politik vielleicht doch noch etwas gelten und nicht automatisch unter Naivitätsverdacht stehen.

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