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Malte Lehming

© Kai-Uwe Heinrich

Kommentar: Wir sind so frei

Warum die FDP jetzt über ihren Schatten springen und in NRW eine Ampel erwägen muss.

Wie flexibel und taktisch versiert ist die FDP? Das ist die zentrale Frage bei der Regierungsbildung in Nordrhein-Westfalen. Das Gegenteil dieser Tugenden kennt der Wähler zur Genüge. Das Weltfinanzsystem mag implodieren, Euroland dem Ruin entgegenwirtschaften, die Staatsschuld sich nach Billionen messen – das Rezept der Partei von Guido Westerwelle erschöpfte sich stets in einer einzigen Parole: Steuern senken! Das wirkte am Ende nicht nur langweilig, gestrig und realitätsblind, sondern in seiner Fixierung geradezu wahnhaft.

Hinzu kam die Nibelungentreue der Liberalen zur Union. Was in der Öffentlichkeit verkauft wurde als besonders klar, prinzipienfest und berechenbar, hieß in der Praxis: zunehmende Koalitionsunfähigkeit. Und der Dank? In Siebenmeilenschritten bauen CDU und Grüne ihre Berührungsängste ab, vergrößern ihre Machtoptionen. Auch SPD und Linkspartei nähern sich an. Denn: Wer in einem Fünfparteiensystem monogam bleibt, stellt eine zwar rührende, aber sich langfristig selbst schwächende Moralität unter Beweis. Alle Widersacher des Trottels freuen sich bloß über dessen Dogmen.

Nun führt Westerwelle als Gegenargument das sensationelle Ergebnis der FDP bei der letzten Bundestagswahl an. Aber dieses Ergebnis war einmalig; es gedieh auf dem Humus der großen Koalition; in ihm drückte sich die Unzufriedenheit vieler Christdemokraten über Angela Merkel aus, nicht eine neu entbrannte Liebe zur FDP. Obwohl es manchmal so scheinen mochte: Auf dem Weg zu einer kleinen Volkspartei war die FDP nie.

Prinzipien muss man sich leisten können. Sie taugen für ruhige Zeiten, weniger in Megakrisen. In diesen muss der Kahn auf Sicht gesteuert werden. Kosovo zwang die Grünen zur Abkehr vom Pazifismus, seitdem ist die Partei politiktauglich. Einen ähnlichen Läuterungsprozess müssen die Liberalen durchlaufen, im Bund wie in den Ländern. Das Mantra der Steuersenkung ist überholt, jetzt gelten Marktregulierung, Haushaltskonsolidierung, ein gerechtes Schultern der Lasten. Wohltaten gibt’s keine mehr zu verteilen.

Thematisch begrenzt, koalitionär dogmatisch, gesellschaftspolitisch ideologisch: Auf frappierende Weise ähnelt die FDP bislang am stärksten der Linkspartei. Ihr jeweiliger Welterrettungsimpuls speist sich aus Theorien, die der Wirklichkeit übergestülpt werden. Freiheit statt Sozialismus: Für eine gewisse Zeit beflügeln solche Parolen eine ansonsten geistig unbeheimatete Klientel. Dabei verraten sie vor allem eine nostalgische Sehnsucht nach der Überschaubarkeit von Klassenkämpfen. Mit den Herausforderungen unserer Zeit haben sie nichts mehr zu tun.

Aber wenn es richtig ist, was die FDP in Nordrhein-Westfalen unablässig predigte, dass nämlich eine Teilhabe der Linkspartei an der Macht für das Land katastrophal wäre, dann kann sie sich nicht selbst, um eine solche Katastrophe in Form von Rot-rot-grün zu verhindern, der Verantwortung entziehen. Darum müssen die Liberalen den Eintritt in eine Ampelkoalition unter Führung der SPD erwägen. Der Spott wäre ihr zwar sicher. Hämefrei springt keiner über seinen Schatten. Doch die Alternative, mit sich selbst im Reinen in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, wäre weitaus blamabler.

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