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Meinung: Auf der Suche nach dem rechten Weg

Die Opposition in der Ukraine will nicht durch den Druck der Straße siegen, sondern legal

Ist das der Durchbruch? Der scheidende Präsident Kutschma hält eine Wiederholung der Präsidentenwahl für möglich. Oder ist die vage Äußerung nur ein neuer Winkelzug, um den Regimekandidaten Viktor Janukowitsch doch noch zum Nachfolger zu machen – obwohl eine Mehrheit nach allem, was wir wissen, für den Oppositionellen Viktor Juschtschenko gestimmt hat? Kutschma hat ein entscheidendes Wort mitzureden, ein Urteil des Obersten Gerichts, das die letzte Wahl wegen Manipulationen für ungültig erklärt, reicht nicht.

Man muss wohl nach Kiew fahren, um zu spüren, wie sehr die Menschen in der Ukraine in dieser unklaren Lage auf Zeichen des Mitgefühls warten – auf das Signal, dass die Welt sie begleitet auf ihrem Weg. Welches Bild geben wir ab, wie werden wir gesehen? Hätten sie diese Frage nicht mit im Kopf, würde der Machtkampf anders ausgetragen, mit mehr handfestem Druck und weniger Einsatz für den Anschein von Legalität.

Die Blockade der Regierungsgebäude durch die Opposition zum Beispiel gehört zur Kategorie Druck, ebenso die Drohungen ganzer Regionen im Süden und Osten, eine Regierungsübernahme durch den mutmaßlichen Wahlsieger Juschtschenko nicht anzuerkennen und mit Sezession zu beantworten. Auf Respekt vor den Gesetzen können sich beide Lager dabei nicht berufen, allenfalls auf eine höhere Moral, so wie sie sie jeweils verstehen. Beides sind Techniken des Rechtsbruchs, die nur Sympathisanten als legitimen zivilen Ungehorsam loben.

Generell liegt beiden Seiten zugleich am Eindruck, dass sie im Einklang mit den rechtlich vorgesehenen Prozeduren vorgehen. Dem Juschtschenko-Lager würde es nicht genügen, eine Neuwahl allein mit dem Druck der Straße durchzusetzen. Es möchte, dass erst die alte für ungültig erklärt wird. Das Parlament hat es bereits am Sonnabend getan, am Montag harrten alle auf die Entscheidung des Obersten Gerichts. Das Problem: Weder das Parlament noch das Gericht können einfach Neuwahlen verfügen. Für die volle Legalität muss der Staatspräsident mittun. Nur ist der amtierende, Leonid Kutschma, ja selbst Partei. Wie also, das war seit Tagen die Frage, bringt man ihn dazu, obwohl er und die Stahl-, Kohle- und Petro-Oligarchen aus der Ostukraine, die ihn an die Macht gehievt haben, keine Neuwahl wollen, von Putins Russland ganz zu schweigen? Diese drei Kräfte üben einen ungeheuren Druck aus: jetzt auf die Richter wie zuvor auf die Mitglieder der Wahlkommission.

Da kommt die Autorität anderer Institutionen ins Spiel. Natürlich war es ein Sieg der Opposition, dass das Parlament den angeblichen Sieg Janukowitschs nicht anerkannte, wenngleich rechtlich bedeutungslos. Oder das Oberste Gericht per Eilentscheidung die Veröffentlichung dieses „offiziellen“ Resultats untersagte.

Ebenso hat es Gewicht, wenn Mitglieder der Wahlkommission sich nun von den Manipulationsversuchen distanzieren. Oder gar der Wahlkampfleiter des Regimekandidaten Janukowitsch, Sergij Tihipko, zur Opposition überläuft und Neuwahlen fordert. Solche Schritte delegitimieren das Regime – und Putins Russland dazu.

In dieser Lage gewinnen Stellungnahmen des Auslands besonderes Gewicht. Javier Solana, der Außenpolitikbeauftragte der EU, und andere westliche Politiker betonten, die territoriale Integrität der Ukraine sei „wesentlich“. Bald darauf befand auch Kutschma, eine Teilung des Landes sei „nicht hinnehmbar“.

Das Regime und Moskau reagieren mit Verleumdungen, um umgekehrt Juschtschenkos Bewegung zu delegitimieren: Sie seien Faschisten, Nationalisten, Antisemiten – nichts davon findet bei einem Besuch bei der Demokratiebewegung eine Bestätigung. Ebenso wenig die Behauptung, alle Russen würden bei einem Machtwechsel des Landes verwiesen.

Die Opposition braucht in dieser Lage Zuspruch aus dem Ausland. Es wäre gut, wenn täglich ein Abgeordneter, egal welcher Partei, in Kiew vorspräche. Und wenn Kanzler Schröder meint, Rücksicht auf Putin nehmen zu müssen, sollte er zumindest seinen Ministern in dieser Frage Redefreiheit gewähren, insbesondere dem Außenminister.

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