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Meinung: Auf Teufel komm raus

Im Fall Metin Kaplan sollte nicht nur das Gesetz des Handelns gelten

Am Ende der vielen langen Prozesse um Metin Kaplan stand der kürzeste, den es je gab. Um kurz nach elf Uhr am Dienstag ratterte der jüngste Kölner Gerichtsbeschluss aus den Faxgeräten, es folgten der Zugriff in Köln-Nippes und der Abflug. Das Kapitel „Kaplan, die Bedrohung“ ist abgeschlossen. Er wird Deutschland nicht wiedersehen. Das Kapitel „Kaplan, das Politikum“ jedoch setzt sich fort, leider.

Die Ratzfatz-Abschiebung darf mit breiter Zustimmung bei der Bevölkerung rechnen, zu lange schon strapazierte der verurteilte Kriminelle Justiz und Behörden mit seinen Klagen, Anträgen, Beschwerden. Das erweckte den Eindruck, als sei hier ein schwächlicher Staat einem brutalen Extremisten hilflos unterlegen. Künftig wird der Rechtsweg in solchen Verfahren kürzer. Das ist eine vernünftige politische Konsequenz. Fahrlässiger politischer Übermut ist es hingegen, dem auf Teufel komm raus vorgreifen zu wollen. Genau das haben die Behörden jetzt getan.

Metin Kaplan ist nicht das Musterbeispiel für ein Versagen des Rechtsstaats, als das er in Fernsehen und Zeitungen hingestellt wird, unterstützt von Innenministern, die Wohl und Wehe der Republik an dessen Abschiebung knüpften. Sein Fall hat eine politische und nicht nur damit auch schwierige rechtliche Dimension. Man muss zudem eines klarstellen: Dass er ausgewiesen wird, ist nach seiner Verurteilung zwingende Konsequenz der deutschen Gesetze. Ob er abgeschoben werden kann – das war das Problem.

Darüber haben in Deutschland unabhängige Richter zu entscheiden, und das fällt in diesem Fall nicht leicht, denn sie haben über das Justizsystem eines Partnerlands und möglichen EU-Kandidaten zu urteilen, der Türkei. Die Frage, ob Kaplan dort ein fairer Prozess erwartet, wäre vor ein paar Jahren noch der Grübelei nicht wert gewesen: Die berüchtigten Staatsschutzkammern hätten ihren kemalistischen Auftrag exekutiert, ohne dass ein Offizieller das Wörtchen „Verteidigung“ nur in den Mund genommen hätte.

Heute ist die Lage besser. Kaplan wird einen fairen Prozess bekommen, schon weil sein Fall von so großem Interesse für die Öffentlichkeit ist. Der türkische Premier Erdogan wäre naiv, wenn er dies nicht auch als Chance für einen rechtsstaatlichen Schaulauf begreift.

Die deutschen Gerichte haben sich mittlerweile zu dieser Betrachtung durchgerungen. Wohlgemerkt: Sie wollten zuvor nicht Kaplan schützen, sondern die Bundesrepublik davor, sich bloßzustellen. Denn was wäre alles Gerede von Rechtsstaat und Demokratie, Freiheit und Menschenrechten eigentlich wert, wenn wir einen Menschen in die Hände ausländischer Richter geben, für die Folter ein sinnvolles Instrument polizeilicher Ermittlungsarbeit ist?

Das Bundesverwaltungsgericht hätte für die Abschiebung Metin Kaplans in ein paar Wochen wohl grünes Licht gegeben. Aber darauf wollte man nicht warten. Der Hassprediger von Köln, der schon seit Jahren verstummt ist, muss sofort raus. Man chartert sogar einen Jet für ihn. Die Hassprediger von der NPD aber dürfen in Talkshows vom Holocaust-Mahnmal als Fundament einer neuen Reichskanzlei faseln. Vergessen ist auch, dass ein kluger Oberverwaltungsrichter vor Monaten in seinem Urteil mahnte, Kaplan dürfe erst nach einem Spruch der Leipziger Bundesrichter rausgeworfen werden. Rechtlich bindend war das nicht. Aber es gibt auch so etwas wie Achtung.

Nun haben die Richter in Leipzig keine Chance mehr, frei zu entscheiden. Ein Urteil pro Kaplan hieße: Deutschland schiebt in ein Folterland ab. Wie stünde unser Rechtsstaat da? Und die EU müsste dann die Beitrittsgespräche mit der Türkei abbrechen. Das Gesetz des Handelns sollte nicht das einzige sein, das hier zu Lande noch gilt.

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