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Meinung: Aus dem Drehbuch des Guerillakriegs

Die Hisbollah kämpft jenseits von Recht und Gerechtigkeit Von Michael Wolffsohn

Israel ist unbeliebter denn je. Schon vor dem Massaker von Kfar Kana lehnten 75 Prozent der Deutschen Israels Krieg gegen die Hisbollah ab. Diese Ansicht wurde in anderen europäischen und erst recht in außereuropäischen Staaten, mit Ausnahme der USA, geteilt. Der massenhafte Zivilistentod von Kfar Kana verstärkt und zementiert Israels negatives Image, denn natürlich ist jedermann über die vielen zivilen Opfer empört.

Empörung ersetzt jedoch keine Analyse. Was wir genau wissen: viele Zivilisten wurden getötet. Was wir nicht wissen: Wie kam es dazu? Den genauen Ablauf kennen wir nicht. Wir kennen aber die Grundregeln des Guerillakrieges. Die Guerilla braucht eigene zivile Opfer. Je mehr, desto besser.

Wie ist diese Guerilla-Grundregel zu verstehen? Das Instrument des Kleinkrieges („Guerilla“) gebraucht derjenige, der, weil militärisch unterlegen, den großen, offenen Krieg von Soldat zu Soldat nicht gewinnen kann und auf Abnutzung setzen muss. Meistens werden Guerillakriege gegen fremde Besatzer geführt. Aus der Geschichte wissen wir, dass Guerillakrieger fast nie besiegt wurden, dass diese „Davids“ durch die Strategie der Abnutzung langfristig die „Goliaths“ besiegten.

Dis Hisbollah ist im militärisch konventionellen Sinn den Streitkräften Israels hoffnungslos unterlegen. Deshalb muss Hisbollah den großen Krieg meiden und den kleinen führen. Anders als die große und die deutsche Welt, kennt die Hisbollah das Drehbuch des Kleinkrieges. Sie hat es stets konsequent umgesetzt.

Jeder Guerillakämpfer ist natürlich Soldat. Wäre er jedoch als Soldat erkennbar, könnte man ihn leicht treffen. Guerillakämpfer tragen keine Uniform, sie sind als Zivilisten getarnte Soldaten. Das widerspricht der Genfer Konvention und ist völkerrechtswidrig, doch in großen und kleinen Kriegen wird das Völkerrecht selten beachtet. Im Guerillakrieg gibt es daher strukturell keine Trennung von Zivilbereich und Militär.

Der nächste logische Schritt: Guerillasoldaten positionieren ihre Waffen und Abschussrampen in Wohnbereichen, sie operieren im und aus dem zivilen Bereich. Der Feind kann dabei nur verlieren. Reagiert er nicht, gerät er in die Defensive und setzt sich neuen Angriffen auf seine Soldaten aus. Die Grundannahme der Guerillastrategie: Der Feind scheut sich, auf Zivilisten zu schießen, auch wenn unter ihnen getarnte Soldaten untertauchen. Doch wer ist Soldat, wer Zivilist? Diese Unsicherheit, ja Unbestimmbarkeit, nutzt die Guerilla. Sie weiß, dass der Vernichtungswille ihres Feindes letztlich doch durch eine sogar im Krieg vorhandene Grundmenschlichkeit gebremst wird. Reagiert der Feind aber und schießt auf Zivilisten, ist er „brutal, unmenschlich, maßlos“. Diese „Maßlosigkeit“ (jetzt „Unverhältnismäßigkeit“ genannt) ist ein politischer Trumpf für die Guerillas.

Sie nutzen nun den Imageverlust des Feindes, der sich dem massiven politischen Druck der Anständigen und Menschlichen (doch leider Kenntnislosen) ausgesetzt sieht. Dieser Druck hat meistens Folgen: Der vermeintlich unverhältnismäßig Reagierende muss nachgeben, um nicht noch mehr internationalem Druck ausgesetzt zu sein. Die vielen zivilen Opfer nimmt die Guerilla wissentlich in Kauf, sie hat sie letztlich zu verantworten und steht trotzdem moralisch „sauber“ da.

Wir kennen dieses „Drehbuch“ aus zahllosen Guerillakriegen, von den Makkabäern im zweiten vorchristlichen Jahrhundert (Kampf der Juden gegen die Seleukiden) bis zu den Spaniern gegen Napoleons Frankreich, Mao Tse-tung, Ho Chi Minh, Arafat und Nasrallah. Was ihm die Fernsehbilder, waren den spanischen Guerillas gegen Napoleon die Bilder Goyas. Im Prado kann man sie bewundern.

Israels Situation im Libanon ist noch schwieriger, weil es seit 2000 das Land nicht mehr besetzt. Die Hisbollah schießt nicht nur (wie einst die Makkabäer auf seleukidische, die Spanier auf französische und die Vietnamesen auf amerikanische) Soldaten, sondern vor allem auf Zivilisten.

Recht und Gerechtigkeit sind gegen Besatzer gute Grundlagen der Guerilla. Die legale und legitime Grundlage fehlt dem Krieg der Hisbollah. Die Welt sieht nur die erschütternden Bilder, aber nicht den Kern der Dinge. Israel musste reagieren, es hat reagiert und ist in die unvermeidliche Guerillafalle getappt – die auf erfolgreiche Irreführung der Menschen setzt.

Der Autor ist Professor an der Bundeswehr-Universität München.

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