zum Hauptinhalt

Meinung: Aus der Gerüchteküche

„Treten und Zurücktreten“ vom 15. Februar Der Autorin stimme ich darin zu, dass Annette Schavan keinen Vergleich mit Karsai aushält, auch darin, dass die Skandalisierung von drittrangigen Vorgängen die politische Kultur verdirbt – aber vielleicht anders, als sie in dem Artikel meint.

„Treten und Zurücktreten“

vom 15. Februar

Der Autorin stimme ich darin zu, dass Annette Schavan keinen Vergleich mit Karsai aushält, auch darin, dass die Skandalisierung von drittrangigen Vorgängen die politische Kultur verdirbt – aber vielleicht anders, als sie in dem Artikel meint. Ziehen wir die aufgeblasenen Skandälchen vom Bild unseres Landes ab, so sieht sie „ein Land mit vergleichsweise wenig Korruption“. Könnte dieser Eindruck darauf beruhen, dass viele Journalisten nur das als Korruption oder Skandal hochziehen, was formale – rechtliche, moralische, konventionelle – Korrektheit verletzt? Gravierende, häufig formal korrekte Vorgänge werden so im Dunkeln belassen oder empörungsfrei in die Fachartikel verbannt. Dabei könnten doch auch solche Vorgänge als skandalös attackiert werden, bei denen öffentliche Positionen für persönliche Vorteile oder – viel wichtiger – zur Durchsetzung unausgesprochener politischer Ziele schamlos ausgenutzt werden. Dazu gehören z. B. die Drehtürgeschichten von Clement, Schröder, Tacke, Florian Gerster, samt dem sonstigen verborgenen Lobbyismus, dazu gehört die Weigerung der Bundestagsmehrheit, die UN-Vorgaben zur Bestrafung von Abgeordnetenbestechung umzusetzen, dazu gehören die vielfältigen Behinderungen der Steuerfahndung, dazu gehört die Herstellung scheunentorgroßer Steuer-Schlupflöcher, dazu gehört die Zerstörung der gesetzlichen Rente mittels Fehlinformationen und Medienkampagnen, dazu gehört die mit falschen Argumenten betriebene Auslieferung öffentlicher Güter an private Renditeinteressen, dazu gehört die systematische Verschleierung der Hintergründe der sog. Bankenrettung, dazu gehört die Chuzpe weiter Teile der politischen Elite, schädliche Entscheidungen wider besseres Wissen schönzureden. Und so weiter.

Mit Vorgängen dieser Art – deren Aufarbeitung freilich Kompetenz und Mut erfordert – böten die öffentlichen Zustände genügend Raum für den „Idealismus, der junge Politiker zu Höchstleistungen anspornen sollte“. Die Fama vom im Wesentlichen intakten, allerdings etwas nörgeligen und Skandälchen suchenden Land beschwichtigt jedoch die potenziellen Idealisten, statt sie zu fordern.

Ich habe zu den Lesarten des Skandals bei Wikipedia geblättert und fand dort den Satz „Das weitgehende Fehlen von politischen Skandalen in der DDR gilt als Zeichen der Unterdrückung“. Nun ja, eine scheinbar harmlosere „Unterdrückung“ könnte auch darin bestehen, dass empörungswürdige Skandale mit drittrangigen Skandälchen unter die Decke gedrückt werden.

Wieland Hempel, Berlin-Tempelhof

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false