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Meinung: Außerplanmäßig

Mehdorn hat viele Fehler gemacht – aber keiner vor ihm hat die Bahn so erfolgreich umgebaut

Ob Börsengang, zu teure Tickets, Verspätungen – die Kritik an der Bahn konzentriert sich auf Hartmut Mehdorn. Jetzt muss der Kanzler entscheiden, ob Mehdorn der richtige Mann an der Spitze des Unternehmens ist.

Viel spricht gegen Mehdorn. Der Umbau des Konzerns ist zwar dadurch vorangekommen, dass er weiß – und auch macht – was er will. Doch mit einer Eigenschaft steht er sich selbst im Weg: Mehdorn ist kein Diplomat. Wenn er in Rage ist, denkt er, die ganze Welt gegen habe sich die Deutsche Bahn verschworen. Das kann sich der Chef eines Unternehmens, das zu 100 Prozent dem Bund gehört, nicht leisten. Mehdorn hat die Dynamik der Politik unterschätzt. Statt im Hintergrund Unterstützung für seine Pläne zu sammeln und sie erst dann umzusetzen, hat er sich auf die Rückendeckung des Kanzlers verlassen und ist direkt zum Frontalangriff übergegangen. Seinen Gegnern warf er oft vor, von Wirtschaft keine Ahnung zu haben. Auch seinen Kunden gegenüber war er nicht zimperlich: Schmutzige Züge? Die Bahnfahrer können sich nicht benehmen. Das Scheitern der Bahnpreisreform vom Dezember 2002? Lag in den Augen Mehdorns daran, dass die Kunden sie einfach nicht kapieren wollten – und nicht daran, dass die neuen Tarife vielleicht zu kompliziert waren.

In diesem Sommer hat Mehdorn den bisher größten Fehler begangen: Mit Blick auf den Börsengang, den er sich für 2006 gewünscht hat, hat er zu viele Projekte auf einmal verfolgt. Zuerst hat er die Gewerkschaften gegen sich aufgebracht mit der Forderung nach deutlichen Zugeständnissen bei den anstehenden Tarifverhandlungen. Dann hat er mit einer undurchsichtigen Investitionspolitik den letzten Rückhalt bei den Verkehrspolitikern im Bundestag verspielt. Schließlich setzte er eine kräftige Fahrpreiserhöhung durch. Für alle Schritte hat er gute Gründe. Ihm vorzuwerfen, sich bei den Entscheidungen nur am Börsengang zu orientieren, wäre zu einfach. Doch weil Mehdorn an vielen Fronten gleichzeitig kämpfen musste, hat er sich verzettelt. Daher war der Rückzug vom Börsengang das einzig Richtige.

Die Zeit bis zum nächsten Anlauf Richtung Börse muss jetzt genutzt werden, endlich zu definieren, was die Politik von der Bahn verlangt – und was nicht. Die Post weiß, wie viele Briefkästen in welchen Abständen sie aufbauen muss. Für die Bahn fehlen solche eindeutigen Vorgaben – etwa zur Größe des Schienennetzes –, obwohl auch sie per Gesetz zur Grundversorgung der Bürger gehört. Sind die Pflichten erst einmal festgelegt, kann die Bahn ihre Freiheiten auch viel besser nutzen.

Und es wäre – trotz aller Schwächen Mehdorns – gut, wenn er dann noch an der Bahnspitze wäre. Keiner seiner Amtsvorgänger hat den Konzern wirklich vorangebracht. Der größte Teil der 90er Jahre war verlorene Zeit für die Umsetzung der großen Bahnreform. Die wurde 1994 gestartet, damit der Konzern, der den Steuerzahler jedes Jahr Milliarden kostet, auf eigenen Beinen steht. Die Behörde Bahn sollte zu einem Unternehmen Bahn werden. Dass sie es heute weitgehend ist, ist vor allem ein Verdienst Mehdorns. Mit dem Kauf des Logistikers Stinnes hat er dafür gesorgt, dass der Schienengüterverkehr auf lange Sicht überhaupt noch eine Chance hat gegenüber dem Lkw. Mit milliardenschweren Investitionen hat er dafür gesorgt, dass die meisten Züge modernisiert wurden. Und der Konzern dürfte auch bald den Sprung in die schwarzen Zahlen schaffen, wenn auch nicht ganz so schnell, wie zuletzt noch gedacht.

Zurück zur alten, unprofitablen Behördenbahn geht es nicht mehr. Das kann sich Deutschland weder verkehrspolitisch noch finanziell leisten. Aber das Tempo Richtung Börse muss Mehdorn jetzt deutlich drosseln, auch wenn er insgesamt auf dem richtigen Weg ist. Damit Kunden, Politik und Beschäftigte mitkommen können. Nur wenn Mehdorn das nicht schafft, sollte sich Schröder einen neuen Mann für die Bahnspitze suchen.

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