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Bahn-Verkauf: Auf dem falschen Gleis

Der Plan war einfach: Nach dem Okay der Regierung sollen Bundestag und Bundesrat den Börsengang der Bahn abnicken. Doch daraus wird nichts. Denn eine große Frage treibt Kunden der Bahn wie Minister um: Was haben wir davon?

Bei der Bahn wird eigentlich ziemlich genau kalkuliert. Wenn also am Montag nächster Woche ein Beamter des Verkehrsministeriums zur Sonderkonferenz über die Privatisierung des Unternehmens von Bonn nach Berlin reist, hat er vier Stunden und 43 Minuten Zeit, seine Akten durchzublättern. Das wird allerdings nicht reichen, um die Zukunft der Bahn verlässlich zu deuten. Was bei den Minuten funktioniert, jedenfalls meistens, ist bei den Milliarden eine Tunnelfahrt ins Ungefähre. Würde die Bahn ihre Reisezeiten ebenso großzügig kalkulieren, wie dies mit ihrem Wert geschieht, wäre sie als Verkehrsmittel längst erledigt. Denn es ist ja nicht ganz unerheblich, ob es um zwanzig Milliarden geht, wie manche meinen, oder um zweihundert, wie andere behaupten. Andererseits könnte man auch sagen, dass bei der Bahn-Privatisierung dermaßen viel unklar ist, dass es darauf nun auch nicht mehr ankommt.

Seit zehn Jahren bereitet sich die Bahn auf den Gang an die Börse vor. In dieser Woche sollte die letzte Station vor dem Ziel erreicht sein: Nach dem Okay der Regierung im Sommer jetzt die Zustimmung des Parlaments, dann Abnicken im Bundesrat – fertig. Doch daraus wird nichts, nicht jetzt und nicht so. Denn eine große Frage treibt nicht mehr nur die Kunden der Bahn um, sondern auch immer mehr Abgeordnete und Minister.

Sie lautet: Was haben wir davon?

Wir haben die Privatisierung der Telekommunikation erlebt und die der Post, und wir haben beides auch überlebt, sehr gut sogar. Früher war hier nicht alles besser, sondern vieles schlechter. Aber wie viele der Verbesserungen sind zwingend mit der Privatisierung verbunden? Dass der Markt einen besseren Service bietet, wie oft zu hören ist, möchte man gerne glauben – so lange, bis man mal versucht, mit seiner Telefongesellschaft Kontakt aufzunehmen. Überhaupt, was das Telefonieren betrifft, nutzt uns vor allem der technische Fortschritt. Der wird zwar angetrieben vom Wettbewerb, davon abhängig aber ist er nicht. Die Bahn, die unprivatisierte, ist ja auch nicht gerade schlechter geworden in den vergangenen Jahren, im Gegenteil: Sie zählt zu den modernsten Bahnen in Europa.

Privatisiert, also verkauft wurden auch die meisten Energieunternehmen. Es lässt sich nicht behaupten, die Kunden seien heute glücklicher. Geändert hat sich hier vor allem, dass ein staatliches Monopol in ein privates verwandelt wurde. Und wie wäre das bei der Bahn? Für deren kleine Konkurrenten, die sich bereits heute auf eher einsamen Strecken abmühen, änderte sich so gut wie nichts, schon gar dann nicht, wenn die Bahn das Schienennetz behält, in welcher Form auch immer. Für die Kunden aber bedeutet das: Billiger wird’s jedenfalls nicht.

Bahn-Chef Mehdorn möchte sein Unternehmen zu einem weltweit führenden Logistikkonzern ausbauen. Dazu braucht er Geld, sehr viel Geld, und das bekommt er nur im Zuge einer Privatisierung. In der Politik kam die Idee bisher gut an, konnte man sich doch, gewissermaßen als Anhänger Mehdorns, so selbst als eine Art Global Player fühlen. Doch heute, nach zehn Jahren der Debatte, kriecht langsam Angst die Anzughosen hoch. Was geschieht, wenn die Rechnung nicht aufgeht? Zahlen wir nicht drauf, liefern wir uns nicht aus? Geben wir leichtfertig ein Mittel aus der Hand, das wir zum Gestalten brauchen, strukturell, wirtschaftlich, sozial, ökologisch? Werden wir unserem Auftrag noch gerecht? Ist die Bahn vielleicht doch mehr als nur ein Mittel zum Transport von irgendwas nach irgendwo, aber ganz anders, als Mehdorn das meint?

Wohl kaum ein Mensch mit Verstand möchte zurück in das Behördenbahnzeitalter vor 1994. Es mag sogar sein, dass die Vorbereitung auf den Börsengang den Druck erst erzeugt hat, der nötig war, um aus der Bahn das zu machen, was sie heute ist, wie sie heute ist: schneller, pünktlicher, sauberer, bequemer, freundlicher. Aber am Ende geht es einem so wie einst Joschka Fischer vor dem Krieg im Irak. Als jedes Argument für den Einmarsch genannt, jeder Beweis für Saddams Waffen gezeigt und alles nur noch eine Glaubensfrage war, sagte der Außenminister: I’m not convinced.

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