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Barbara John: Ein Zwischenruf zu Multikulti

Wie heißt es doch so tröstlich: Totgesagte leben länger. Ob das auch für Multikulti gilt, obwohl es doch kürzlich von unseren politischen Eliten für mausetot erklärt wurde?

Nur, was gestorben ist, müsste – der Logik folgend – doch schon einmal existiert haben. Und da fängt der Zweifel an. Es ist eine Sache, sich Deutschland als multikulturelle Gesellschaft zu träumen oder einen solchen Zustand zu verdammen. Aber eine multikulturelle Gesellschaft zu sein, das braucht mehr als millionenfache Einwanderung aus vielen Kulturen und mehr als neue Begriffe.

Wie wäre es für den Anfang, wenn wir erst einmal akzeptierten, was grundlegend für eine freiheitliche Gesellschaft ist: keine „Gesinnungsgemeinschaft zu sein, sondern eine Rechtsgemeinschaft“, wie es der ehemalige Verfassungsrichter Böckenförde formulierte. Es fällt vielen (nicht nur Deutschen) schwer, nun in einem Land zu leben, das seine vermeintliche kulturelle Homogenität langsam verliert, während sich neuartige Unterschiede breitmachen. Beispielsweise die Moschee oder der Buddha-Tempel im Zentrum einer Stadt, das Kopftuch der Kassiererin im Discounter, die schwarze Hautfarbe des Fußballspielers, die falsche Überzeugung von Einwanderer-Jugendlichen, Frauen gehörten in die Küche und Homosexuelle nicht in die Politik, der Wunsch nach muttersprachlichem Unterricht.

Gesinnungen zuzulassen, die nicht jeder teilt, scheint für einige ein Synonym zu sein für Multikulti, und das ist dann per se kulturlos, undeutsch, wertebeliebig. Ach, du meine Güte. Das ist doch Standard in freien Ländern. Was allerdings nicht zum Standard gehört, ist, wenn wir als Gemeinschaft die Herrschaft von Recht und Gesetz bei Verstößen nicht durchsetzen. Solches Verhalten zerbröselt unsere Grundwerte. Und dieses Versagen gibt es, wenn aus politischer Trägheit und Feigheit hingenommen wird, dass Arbeit und Bildung verweigert, Homosexuelle diffamiert und angegriffen werden. Das ist nicht Hinnahme von multikultureller Vielfalt, sondern von Rechtlosigkeit. Und was ist Rechtlosigkeit anderes als praktizierter und sichtbarer Verzicht auf „Leitkultur“.

Nur eine von sich überzeugte Rechtsgemeinschaft hat die Kraft, ihr gutes Recht durchzusetzen. Wenn ihr das gelingt, kann sie die kulturelle Freiheit ihrer Mitglieder locker anerkennen, statt sie zu fürchten und als Multikulti-Gedöns abzutun. Ganz ernst zu nehmen ist diese Rhetorik ohnehin nicht, denn an den Realitäten ändert sie nichts.

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