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Meinung: Bayerische Museen: Ein deutsches Sittenbild

In Bayern gehen die Uhren womöglich doch langsamer. Erst jetzt kam dem Verwaltungsrat des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg zu Bewusstsein, dass im Hause für den kommenden Juni eine breit angelegte Retrospektive Willi Sittes geplant war.

In Bayern gehen die Uhren womöglich doch langsamer. Erst jetzt kam dem Verwaltungsrat des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg zu Bewusstsein, dass im Hause für den kommenden Juni eine breit angelegte Retrospektive Willi Sittes geplant war. Der Maler ist kein Geringerer als der langjährige Präsident des DDR-Künstlerverbandes; zuletzt war er überdies Mitglied des ZK der SED. Die Ausstellung, so die Begründung des bayerischen Kultusministers Zehetmair, könne "einfach nicht unkommentiert präsentiert werden" - und wurde sogleich abgesagt und auf 2003 verschoben.

Man reibt sich die Augen. Ist Sittes Werk und Wirken südlich der Mainlinie so unbekannt, dass es erst eines 25-köpfigen Verwaltungsrates bedurfte, um seine politische Brisanz zu erkennen? Ausgerechnet der mächtige DDR-Verbandspräsident, der sich seine Privilegien mit der intimen Nähe zur Macht erkaufte, war nun wahrlich kein unbeschriebenes Blatt. Gewiss kommen die üblen Details seiner mit Honecker, Hager und der Stasi abgestimmten Kunstpolitik erst nach und nach ans Licht; so kürzlich in einer Dokumentation des "Forschungsverbundes SED-Staat an der FU Berlin".

Daneben aber steht das künstlerische Werk, und dessen Würdigung ist die Aufgabe des Museums. Auch die Kunst Sittes ist bekannt, sie war ja im SED-Staat oft und prominent zu sehen. Sie war überhaupt so wohlgelitten, dass Sitte als erstem DDR-Künstler eine Einzelausstellung im damaligen West-Berlin gestattet wurde.

Bei der Retrospektive in Nürnberg darf und soll nichts ausgeblendet werden. Aber gerade weil Sitte unbestreitbar ein Protagonist der deutschen Nachkriegsgeschichte ist, muss sein Werk zur Diskussion gestellt werden. Dazu muss es überhaupt erst einmal als Kunst gezeigt werden. Das Weimarer Debakel vom vergangenen Jahr, wo DDR-Kunst kurzerhand in die Nachbarschaft von Nazi-Kunst gestellt und als Ramschware präsentiert wurde, sollte als Warnung vor der simplen Gleichsetzung von Politik und Ästhetik genügen. Man muss die DDR-Kunst im Allgemeinen und Sittes realsozialistisch beflügelte Großformate im Besonderen nicht mögen, auch nicht nach einer Nürnberger Retrospektive. Aber es muss statthaft sein, der Kunst der DDR in sachlicher, eines Museums würdiger Weise zu begegnen - unkommentiert.

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