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Meinung: Befreit die Republik!

Das Beispiel Steuerreform zeigt: Bund und Länder haben zu wenig Spielraum

Von Lutz Haverkamp

Mit jedem Tag, der ins bundesdeutsche Land geht, tritt eine Erkenntnis immer deutlicher zu Tage: Die Politik hängt in den Seilen, sie wirkt wie gelähmt. Derweil warten in der Republik die Menschen auf den Befreiungsschlag – bisher vergebens. Das Zuwanderungsgesetz? Im Bundesrat gescheitert. Die Gesundheitsreform? In der parteiübergreifenden Konsensrunde. Fünf Millionen Arbeitslose? So gut wie sicher. Agenda 2010? Noch in Arbeit. Und die Idee, die Steuerreform um ein Jahr vorzuziehen? Umstritten in der Bundesregierung, umstritten zwischen den rot-grünen Koalitionen in Berlin und Düsseldorf, umstritten zwischen Ministerpräsidenten, Bürgermeistern, Bürgern und Lobbyisten.

Gerade die Debatte um die Steuerreform zeigt zweierlei. Erstens: Der Staat ist wegen leerer Kassen und enormer Schuldenlast an der Grenze zur Handlungs- und Gestaltungsunfähigkeit. Zweitens: Das föderale System der Bundesrepublik blockiert sich selbst. Politische Entscheidungen werden so lange zwischen Bundestag und Bundesrat, zwischen Regierung und Opposition diskutiert, verwässert oder verworfen, dass am Ende wenig oder gar nichts passiert. Die Politik hechelt der Realität hinterher. Jeder merkt’s – und alle hecheln mit.

Wenn sich heute Bundeskanzler und Ministerpräsidenten an einen Tisch setzen, um auch über das Vorziehen der Steuerreform zu reden, ein 18-Milliarden-Euro-Projekt, werden genau diese Missstände offenbar werden. Die Länder müssten auf acht Milliarden Euro verzichten, die Kommunen auf zwei Milliarden, und dem Bund fehlen neben den 15 Milliarden Euro für den kommenden Haushalt noch weitere acht Milliarden. Im Grunde will und kann das keiner der Beteiligten leisten. Und doch haben sie keine andere Wahl. Denn der Kanzler will es so und wird sich durchsetzen, durchsetzen müssen.

Heute wird es lediglich um die Gegenfinanzierung der Steuerausfälle gehen. Kanzler und Länderchefs werden sich – hoffentlich – auf die weitere Streichung von Subventionen und Steuervergünstigungen einigen. Sie werden vereinbaren, dass eine höhere Neuverschuldung Teufelswerk ist – hoffentlich. Schröder wird den Ländern und Kommunen – vielleicht – einen finanziellen Ausgleich anbieten. Und alle werden übereinkommen, dass weniger Steuern und weniger Subventionen gut für uns alle sind. Das ist die Hoffnung.

Aber nach dieser Runde muss es im Bund-Länder-Verhältnis um mehr gehen. Eigentlich um alles. Denn das Verhältnis ist altmodisch. Es wird den Herausforderungen der Gegenwart und ganz bestimmt der Zukunft nicht mehr gerecht, kann es auch nicht. Die Bundesländer müssen selbstständiger werden. Sie brauchen eigene Steuergesetzgebungskompetenz, weil der daraus folgende Wettbewerb auf Dauer die Steuern sinken und – so widersprüchlich das klingt – die Steuereinnahmen steigen lässt.

Die Kompetenzen- und Aufgabenverteilung von Bund und Ländern muss neu geregelt werden, weil auch der Bund wieder mehr Entscheidungsbefugnisse braucht. Das föderale Band zwischen Bundestag und Bundesrat ist zur kurzen, schweren Kette geworden. Aber alle brauchen mehr Freiheit. Mehr Entscheidungsfreiheit. Das schafft Klarheit und politische Handlungsfähigkeit. Erst dann können alle zu Befreiungsschlägen ausholen. Jeden Tag.

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