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Baustelle BER. Noch ein wenig länger Baustelle.

© dpa

BER-Debakel: Hauptstadt ohne Vision

Das neuerliche Debakel um den Hauptstadtflughafen hat der Stadt ihrer Illusionen beraubt - und damit eines Teils ihrer Kraft. Aber dass Berlin deshalb auch für andere Großprojekte nicht zu gebrauchen ist, das ist eine Anschuldigung ohne Augenmaß.

Wer den Dingen auf den Grund gehen will in der Großflughafenbaustelle Berlin, kommt zwangsläufig vom Großen zum Kleinen und landet irgendwann in einem düsteren Schacht. Dort liegen, wild verstrippt, Starkstromkabel neben Schwachstromkabeln, hoffnungslos ineinander verheddert.

Jeder, der sich auch nur halbwegs auskennt mit Industriebaustellen, erkennt sofort: So geht das nicht, so darf das nicht sein. Die Frage aber ist: Wie kann das passieren, hier, bei diesem Prestigeprojekt der Länder Berlin und Brandenburg, des Bundes sowie bedeutender deutscher Firmen, wie, bei diesem erklärtermaßen wichtigsten Infrastrukturprojekt der Region für Jahrzehnte?

Die Kleinigkeit des katastrophalen Kabelsalats markiert die eine Seite der kaleidoskopischen Berliner Welt dieser Tage. Auf der anderen Seite stehen markige Worte, groß und größer, eine senatsoffizielle Verlautbarung zur Frage, ob Berlin, berauscht von den Bildern aus London, Olympia nicht auch so gut machen kann: „Wir sind bereit!“, heißt die Antwort – was denn auch sonst.

In dieser Woche, beginnend mit der Olympiafantasie, sich fortsetzend mit einer abermaligen Verschiebung des Eröffnungstermins für den Flughafen und endend mit einer von Finanzierungsausfällen geprägten Sitzung des Aufsichtsrats unter dem Vorsitz von Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit, bündeln und zugleich dehnen sich Wollen und Werden der Stadt in drastischer Weise. Unter dem Eindruck der Ereignisse geht dabei offenbar vielen, vor allem in der Politik, das Gefühl für Maß und Ausmaß verloren.

Video: BER-Eröffnungstermin steht in den Sternen

Es scheint nur noch eine Alternative zu geben: Hier in Berlin kann man alles – oder eben nichts. Dass angesichts der gigantischen Großbaustellen in der Innenstadt, des prekären Personennahverkehrs, von Zumutungen auf allen Ebenen der öffentlichen Verwaltung, von Milliardenschulden, kleinkarierter Kiezigkeit und, nicht zuletzt, des doppelt und dreifachen Flughafenfehlstarts so mancher den Kopf einzieht, wenn er das Wort Olympia hört, zumal in Erinnerung an die blamable Berliner Bewerbungskampagne für die Spiele des Jahres 2000, ist gut zu verstehen.

Die Vorstellung, Olympia 2024 müsste auf unbestimmte Zeit ausgesetzt werden, weil ein aufmerksamer Bezirksamtsmitarbeiter seltsame Sicherheitsmängel bei einer nachlässig installierten Sprinkleranlage im festlich-pyrotechnisch zu bombardierenden Stadion feststellt, liegt, nach der Wirklichkeit gewordenen Unvorstellbarkeit einer Last-Minute-Verschiebung in Schönefeld, gar nicht so fern. Und doch ist es Unsinn zu glauben, in Berlin könnte „man“ so etwas wie Olympia grundsätzlich nicht, ja, sei man überhaupt weniger fähig als anderswo.

Bildergalerie: Reaktionen auf die neuerliche BER-Verschiebung

Berlin ist die Summe seiner Teile, und die kommen von überall her. Parlament und Regierung Deutschlands sind, organisiert weitgehend vom Bund in Berlin, in die neue Hauptstadt umgezogen, ein beispielloses Projekt. Parlament und Senat von Berlin haben in einem jahrelangen Kraftakt die zwei Hälften der Stadt zusammengeführt, auch das einzigartig. Kultur und Gesellschaft prosperieren wie nirgendwo sonst, die Wirtschaft wächst, langsamer zwar, aber doch hinterher.

Ein schöner, neuer Flughafen, rechtzeitig und wie versprochen eröffnet – das wäre es jetzt gewesen, das hätte es jetzt gebraucht. Es ist einer der großen Kollateralschäden des Flughafendesasters, dass solche Sachen wie Olympia hier auf unabsehbare Zeit ernsthaft kaum zu erwägen und mit Aussicht auf Erfolg glaubwürdig nicht zu vertreten sind. Von wem denn auch? Es müsste jemand sein, der Ideen fordert, schafft und verkauft, der Strukturen einzieht, die dazu passen, der Menschen von seinem Ziel überzeugt und begeistert, der ahnt, spürt und weiß, wo etwas läuft und wo nicht, der, im übertragenen Sinn, die passenden Kabel zusammensteckt.

Klaus Wowereit hat Visionen für Berlin stets verweigert. Aber jetzt ist die Stadt ihrer Illusionen beraubt – und damit eines Teils ihrer Kraft. Das ist auch Wowereit anzusehen. Berlin, dieses polymorphe Gebilde, Berlin kann und könnte, aber Berlin ist nicht bereit. Starkstrom und Schwachstrom liegen zu nah beieinander.

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