zum Hauptinhalt
Westberlin. Blick auf das Rathaus Schöneberg.

© Kai-Uwe Heinrich

Berlin-Politik in 40 Jahren: Wo immer alles anders kommt

Ach Berlin! Was ist aus dir geworden? Jürgen Dittberner zieht nach 40 Jahren Politik in dieser Stadt Bilanz und lässt APO, Schwierzomper und Debatten um Kinderbauernhöfe und Stadtautobahnen noch einmal Revue passieren.

Vor genau vierzig Jahren ging ich „in die Politik“. 1971 war die „Außerparlamentarische Opposition“ in West-Berlin nicht verdaut. Berlin war Vier-Sektorenstadt, und es gab nur drei relevante Parteien: SPD, CDU und FDP. Der Regierende Bürgermeister war ganz oben, mit dem Kanzler in der gleichen politischen Liga. Ost-Berlin und die „SBZ“ waren dunkle Gebiete, von denen Bedrohung für die „Insulaner“ ausging. Der Weg zum Leben führte über die Transitwege nach Hof, Helmstedt oder Lauenburg.

Die Freie Universität galt als Topadresse der APO. Deren Studenten und Assistenten waren darauf stolz, die Professoren oft weniger. Zur FDP hatten mich Rudi Dutschke, Willy Brandt und Karl-Hermann Flach geführt. Rudi Dutschke hatte den „Marsch durch die Institutionen“ propagiert, und die FDP war doch eine Institution. Willy Brandt war der Visionär mit dem „blauen Himmel über der Ruhr“ oder „mehr Demokratie wagen“, und Karl-Hermann Flach galt als Vater der „Freiburger Thesen“, mit denen die FDP auf sozial-liberalen Kurs gebracht wurde.

In der BVV Wilmersdorf gab es eine Kleiderordnung. Der Vorsteher bestand darauf, dass die Frauen in Röcken und die Männer in Schlips und Kragen erschienen. Und wenn der britische Stadtkommandant erschien, wurde er festlich empfangen und durfte auf der „Regierungsbank“ des Bezirksamtes Platz nehmen.

Beherrschendes Thema war die geplante Überbauung der Stadtautobahn an der Schlangenbader Straße. Der Investor hatte einen jungen Doktor aus Baden-Württemberg abgestellt, der das Projekt vorantreiben sollte. Er war bald der „König von Wilmersdorf“ und hatte das ganze Rathaus in die Tasche gesteckt. Da tat sich etwas Neues auf: eine Bürgerinitiative, die das Vorhaben – wie man heute sagen würde – „sozial verträglicher“ realisieren wollte. Die drei Parteien verkannten damals das politische Gewicht dieser Bürgerinitiative. Ein Grundstein der „Grünen“ war gelegt.

In Berlin gab es keine Bundeswehr – das hatten die Alliierten untersagt. Der Bundestag durfte keine hier gültigen Gesetze verabschieden; zu diesem Zweck trat das Abgeordnetenhaus regelmäßig zu „Übernahmesitzungen“ an, bei denen ohne Aussprache vom Bundestag Beschlossenes „übernommen“ wurde. Das politische Zentrum West-Berlins war das Rathaus Schöneberg, wo der „Regierende“ in einem Erker residierte. Davor, auf dem Rudolf-Wilde-Platz, fand regelmäßig Wochenmarkt statt. „Einfache“ Berliner, Abgeordnete und Senatoren labten sich gemeinsam an Currywürsten.

Wer sich für fortschrittlich hielt, wie auch die FDP, bekämpfte den „Radikalenerlass“. Damit sollten „Verfassungsfeinde“ aus dem öffentlichen Dienst ferngehalten werden. Bewerber für öffentliche Ämter wurden in einer von Spöttern „Überwachung“ genannten Kommission überprüft. „Kommunisten“ und andere „Linke“ wurden aussortiert: Das alles war ein Irrweg, den man später verlassen hat.

Lesen Sie auf Seite 2: Der "Garski-Skandal" bringt die Stadt durcheinander

Zehn Jahre später, 1981, saß ich im Abgeordnetenhaus, und in West-Berlin hatte es eine Unterschriftensammlung gegeben. Die CDU mit Richard von Weizsäcker und die Grünen setzten vorzeitige Neuwahlen zum Abgeordnetenhaus durch. Der „Garski-Skandal“ brachte die Stadt durcheinander.

Die CDU nannte sich nun „Berlinpartei“ und löste die SPD nach langjähriger Vorherrschaft ab. Die Stadt von Ernst Reuter, Otto Suhr und Willy Brandt wurde von Richard von Weizsäcker regiert. Ihm folgte Eberhard Diepgen. Die FDP tolerierte das, bevor auch sie in die CDU-Regierung einstieg.

Die „Grünen“ hießen an der Spree „Alternative Liste“ und waren neben den Traditionsparteien ins Landesparlament eingezogen. Mancher sagte, das wäre nur eine Zeiterscheinung. „Außerparlamentarische“, wie sie sich nannten, fanden das Parlament interessant.

Auf einmal entdeckte Berlin, dass es Türken in der Stadt gab. Alle Parteien wollten sie integrieren. Das Landesparlament gründete einen „Ausländerausschuss“, und der Senat setzte die erste „Ausländerbeauftragte“ ein. Das galt als modern und vorbildlich.

In dieser Zeit hießen in West-Berlin die anderen Bundesbürger „Wessis“, und „Ossis“ waren die DDRler. Die einzig pfiffigen Deutschen waren natürlich die „Berliner“, und die gab es eigentlich nur im Westen der Stadt.

Zwischen Kreuzberg und Spandau spielte die Musike: Die Berliner Philharmoniker mit Herbert von Karajan an der Spitze hielten die „Spree-Athener“ für das beste Orchester der Welt, das Schiller-Theater galt als führend, und die Deutsche Oper in der Bismarckstraße setzte Maßstäbe über Deutschland hinaus.

Die FDP sah sich damals als Kämpferin für die Rechte Homosexueller, war für Emanzipation – das hieß Frauenrechte – und setzte sich für die gebührenfreie Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel ein. Der „BVG-Direktor“ war übrigens Berliner und hieß Piefke.

Und der Senat war plötzlich nicht mehr für Beton. Er wollte nun alte Häuser vor allem in Kreuzberg mit dem Konzept für „Behutsame Stadterneuerung“ retten, förderte Projekte, die aus Häuserbesetzungen hervorgegangen waren und entdeckte seine Liebe zu einem „Kinderbauernhof“ an der Mauer. Die Bemerkung, der könne da bis zur Wiedervereinigung bleiben, war als Scherz gemeint.

Wieder zehn Jahre später, 1990, war ich Staatssekretär für Wirtschaft in Berlin. Es geschah, was keiner erwartet hatte: Deutschland und Berlin wurden wiedervereinigt. Zuerst war die Luft am Kurfürstendamm blau geschwängert von all den Trabbis, deren Fahrer „nur einmal gucken“ kamen. Dann zahlten auch Mitarbeiter der Verwaltung 100-DM-Scheine an DDRler als „Begrüßungsgeld“ aus. In der Wirtschaftverwaltung erkundigten sich leitende Funktionäre aus Potsdam und Ost-Berlin nach ihren Berufschancen „im Westen“.

Wirtschaftdelegationen aus der ganzen Welt von Japan bis zu den USA kamen, um die Zukunftschancen Berlins zu erspähen. Alle Welt glaubte, Berlin würde nun eine „Boomtown“ werden.

Lesen Sie auf Seite 3: Der "MagiSenat" unter "Schwierzomper"

Der (West-)Berliner Senat unter Walter Momper existierte zwar noch, aber es gab für ganz Berlin den „MagiSenat“ unter „Schwierzomper“, wobei die erste Silbe für den damaligen Oberbürgermeister von Ost-Berlin, Tino Schwierzina, stand. Und endlich standen für Berlin „große“ Themen an: Wann fährt der Ring wieder, wann die S-Bahn nach Potsdam? Wie können wir die Brandenburger überzeugen, dass sie mit Berlin ein Land bilden? Wie lässt sich unser Bankensystem im Osten installieren? Wann erfolgt die Fusion zwischen Sparkasse und Berliner Bank, damit Berlin Geschäfte machen kann wie Frankfurt am Main? Lässt sich das System der Berlinhilfe auf das gesamte Gebiet der DDR übertragen?

Illusionen, Illusionen. Woher der Wind wirklich wehte in der Republik, bekamen die Berliner allmählich mit, als der Sitz der Bundesbank nicht wie im Gesetz geschrieben nach Berlin verlegt wurde, als Siemens, die AEG und all die anderen keine Anstalten machten, nach Berlin zu ziehen, und als eine quälende Debatte aufkam über die Hauptstadt des vereinten Deutschlands: Sollte es Berlin werden oder Bonn bleiben?

2000 war beschlossen worden, dass die deutsche Hauptstadt wieder Berlin heißen sollte. Berlin und Brandenburg gingen getrennte Wege, und als Staatssekretär in Potsdam hatte ich gelernt, dass Berlin mit großmäuliger Art in der Mark gar nicht so gut ankommt.

Das Schiller-Theater wurde zugemacht. Die Bezirkspolitiker schien das nicht anzufechten. Lieber kämpften sie dafür, dass die Kleingärten in der Stadt erhalten blieben, wo doch das Umland reichlich Grün vorhielt. Die Grünen entpuppten sich als Retter von Bäumen und Sträuchern im Innenstadtbezirk und verkündeten stolz, beim Thema „Bäume“ hätten sie die Meinungsführerschaft.

Derweil schnürte der Senat das Finanzpaket für die Bezirke immer enger. Berlin gefiel sich darin, „arm, aber sexy“ zu ein, wobei der Senat die Armut in die Bezirke verscheuchte und sich selber als „sexy“ hinstellte.

Der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf tröstete sich damit, dass er den Einwohnern die Aufstellung eines „Bürgerhaushaltes“ vorspielte, obwohl selbst die meisten Bezirksverordneten den längst nicht mehr den Grundsätzen von Haushaltsklarheit folgenden Bezirkshaushalt kaum durchschauten. Für schlichte Gemüter wurde „Gender Mainstreaming“ als Leitideologie ausgegeben, und selbst die Schwangerschaftsgymnastik wurde davon nicht verschont.

Ach Berlin! Was ist aus dir geworden in 40 Jahren?

Geld hat die Stadt keines. Der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf kann es sich nicht mehr leisten, die Grünanlagen zu pflegen. Die Straßen im Westen der Stadt haben Löcher. Immer wieder brennen Autos. Hundedreck liegt auf den Bürgersteigen.

Einst wurden „Graffitis“ als Kunstwerke bejubelt. Nun verunzieren sie jede freie Wand. Kommt der Winter, wird nicht geräumt.

Modestadt Berlin? Eleganz auf den Straßen gibt es immer weniger. Viele Leute laufen herum, als seinen sie Müllwerker im Einsatz. Selbst in die Oper kann man heutzutage im „Pennerzivil“ gehen.

Autofahrer sind out. Radfahrer dürfen auch durch Fußgängerzonen pesen. Wird ein internationaler Flughafen geplant, meckern die Leute, weil ihnen Flugzeuge über die Köpfe fliegen könnten. Die gute alte S-Bahn ist aus dem Takt geraten, und wer auf die U-Bahn ausweicht, muss damit rechnen, halb tot geprügelt zu werden.

Die Berliner Schulen gehören zu den schlechtesten der Republik. Touristen und zuwandernde „Schwaben“ sind in der Stadt nicht willkommen.

Na und?

Dann muss alles eben wieder gerade gerückt werden. In der Politik müsste sich das doch machen lassen. Wer heute 20 oder 30 ist in der Stadt, sollte sich wählen lassen in eine BVV oder ins Abgeordnetenhaus, um die Stadt in seinem Sinne zu gestalten. Es wird weitergehen. Und wenn es die Grünen sind, die heute die schönsten Perspektiven anbieten, dann ist es eben so. In 40 Jahren werden auch sie feststellen: Es ist nicht alles so gelaufen, wie es einst gedacht war.

Der Autor ist Vorsitzender der FDP-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Charlottenburg-Wilmersdorf. Bis 2009 lehrte er als Professor an der Universität Potsdam mit dem Schwerpunkt Parteienforschung.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false