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Berlin und Hertha: Verlierer sind wir alle

Herthas Abstieg wäre eine Tragödie für ganz Berlin, für Basketballfans ebenso wie für Union-Anhänger. Gewinnt Hertha, gewinnt Berlin – verliert Hertha, verlieren wir alle. Wenn Hertha nicht mehr erstklassig ist, dann wird sich auch die Stadt zweitrangig anfühlen.

Abstieg – das ist doch nicht vorgesehen. Nicht in dieser Stadt, nicht bei Hertha BSC. Hier soll es aufwärts gehen. Die Niederlage gegen die Nürnberger, die den Abstieg besiegeln könnte, ist deshalb nicht nur ein Schmerz für die 58 000 Menschen, die im Olympiastadion ihrem Verein beim Schicksalsspiel den Rücken stärken wollten. Nein, es ist eine Niederlage für die ganze Stadt. Steigt Hertha ab, dann fühlt sich ganz Berlin an wie zweite Liga.

Verlierer sind wir alle – die in die Stadt Hineingeborenen und jene Hunderttausende, die nach Berlin gezogen sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten, seit die Stadt wieder beginnen konnte, ihren historischen Platz in Deutschland einzunehmen. Berlin, das belegen Umfragen, ist inzwischen für die große Mehrheit der Bundesbürger ihre strahlende Hauptstadt. Nun sollen Herthaner künftig gegen Ahlen oder Paderborn kicken? Das ist kaum die Augenhöhe für die Stadt mit einem der größten Stadion der Republik. Und welche europäische Hauptstadt ist ohne Erstligaverein? Was werden wir wieder für Häme zu hören bekommen. Die können es nicht, die Berliner: Die bleiben Hauptstadt der Hartz-IV-Empfänger und Schmuddelmetropole.

Dass die zugereisten Berliner ihren Heimatverein im Herzen tragen, erschwert – wie auch das prollige Image – die Identifikation mit Hertha. Es kann gelingen, hat die vergangene Saison gezeigt, als Hertha ganz oben mitspielte. Da mag der wahre Fan die Nase rümpfen, weil er weiß, dass zur Leidenschaft auch das Leiden gehört. Aber 58 000 Menschen beim Schicksalsspiel im kalten Olympiastadion beweisen, dass Hertha der Stadt nicht gleichgültig ist: Wir wollen euch kämpfen sehen, bis zur letzten Minute, das seid ihr uns schuldig. Denn keine andere Stadt hat diesen Voodoo-Glauben an einen Sieg so bitter nötig wie Berlin.

Es fehlt nicht das große Geld, es ist kein Milliardär nötig, um Hertha solide aufzustellen. Freilich gibt es auch in Berlin genügend Reichtum, um den Verein mit beherztem Mäzenatentum voranzubringen. Wichtiger ist: Spielerisch begrenzte Kicker zu haben, ist eines, sich als Trainer mit wenig zufriedenzugeben, ein anderes. Auch Schalke musste zum Saisonbeginn sparen, musste gute Spieler verkaufen. Aber die Schalker malochen, sie kämpfen, laufen den Gegner kaputt – für sich. Und für ihre Region.

Hier Erfolg zu haben, dafür sind die Menschen an die Spree gekommen; eine Chance zu bekommen, das ist doch die einzige Verheißung, die diese Stadt wirklich hat. Immer noch macht der Wohlstand einen weiten Bogen um Berlin, und der Weg zu innovativen und wirtschaftlich tragfähigen Strukturen ist nach der Stunde null des Mauerfalls weit mühsamer und langwieriger, als alle ahnten. Aber Berlin lockt die Menschen an, weil diese Stadt in Bewegung ist und es hier mehr Raum gibt als anderswo, eigene Ideen zu entwickeln. Hier geht vieles. Das macht Berlin stark.

Dieses Lebensgefühl bekommt einen Knacks durch Herthas Fall. Der trifft deshalb auch all die Hunderttausende, die nicht ins Stadion gehen, aber hart arbeiten, damit es hier endlich vorangeht. Deswegen wäre der Abstieg eine Tragödie für ganz Berlin, für Basketballfans ebenso wie für Union-Anhänger. Gewinnt Hertha, gewinnt Berlin – verliert Hertha, verlieren wir alle. Das strahlt aus. Wenn Hertha nicht mehr erstklassig ist, dann wird sich auch die Stadt zweitrangig anfühlen: noch unfertiger, noch schmutziger, noch ärmer. Nach der Arbeit ihres Trainers wird dann vermutlich auch gefragt werden. 

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