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Meinung: Berliner Bärendienst

Wenn der Wähler gesprochen hat, dann heißt das noch lange nicht, dass er auch viel zu melden hat. Meistens ist es so, dass die Politiker den Wählern schon um kurz nach sechs ihre Stimme zu entreißen suchen und dann damit machen, was sie wollen - kneten, kauen und verdauen.

Wenn der Wähler gesprochen hat, dann heißt das noch lange nicht, dass er auch viel zu melden hat. Meistens ist es so, dass die Politiker den Wählern schon um kurz nach sechs ihre Stimme zu entreißen suchen und dann damit machen, was sie wollen - kneten, kauen und verdauen. Selbst wenn die Berliner nur landes- also kommunalpolitisch abgestimmt und gar nichts anderes gemeint haben als den hiesigen Wowereit und örtlichen Gysi, als die Berliner Landesbank und den mittelgroßen Groß-Flughafen, so wird das Wahlergebnis doch bundespolitisch interpretiert - und entsprechende Folgen haben.

Zum Thema Ergebnisse I: Stimmenanteile und Sitzverteilung im Abgeordnetenhaus Ergebnisse II: Direktmandate im Abgeordnetenhaus Ergebnisse III: Ergebnisse nach Regionen (Abgeordnetenhaus und BVV) WahlStreet.de: Die Bilanz Die FDP versteht sich besonders gut auf die Verwandlung von Prozenten in PR. Diesmal sagen sie: Schaut her, in Hamburg hatten wir 5,1 Prozent, in Berlin schon um die zehn, da kann es sich nur um einen Trend handeln, und bis zu den von Möllemann erfundenen 18 Prozent sind es nur noch ein paar läppische Stimmchen. Das darf man eine übertriebene Interpretation nennen. Das Berliner Wahlergebnis der Liberalen lehrt nur eines: Wenn die CDU alles falsch macht und gleichzeitig die SPD mit der PDS kokettiert, bekommt die FDP ziemlich viele taktische Stimmen. Da aber bei der Bundestagswahl weder die Union alles falsch machen, noch die SPD mit der PDS kokettieren wird, bedeutet Günter Rexrodts Sieg für Guido Westerwelle erstmal: gar nichts.

Die CDU interpretiert das niederschmetternde Ergebnis von Frank Steffel als eine rein kommunalpolitische Miniatur. Warum tut sie das? Weil die Berliner CDU tatsächlich nur ein lokales Problem ist und darum ja auch einen Spitzenkandidaten Wolfgang Schäuble nicht wollte? Nein, nicht deshalb. Wenn es den Gegnern von Angela Merkel aussichtsreich erschiene, sie jetzt zu stürzen oder zumindest zum Verzicht auf die Kanzlerkandidatur zu bewegen, dann würden sie in aller Unschuld und voller Besorgnis betonen, dass diese Niederlage "selbstverständlich" auch ein bundespolitisches Signal sei.

Da aber weder Edmund Stoiber jetzt schon gegen einen Krieg führenden Kanzler in die Schlacht ziehen will und sich in der CDU niemand traut, gegen Angela Merkel anzutreten, ist die Berliner Wahl eben eine rein kiezige Angelegenheit - für die Schwarzen.

Anders natürlich die Roten, also die von der SPD. Für sie zeigt der überwältigende Sieg von Klaus Wowereit, wie sehr die Sozialdemokratie insgesamt im Aufschwung ist. Und wer wollte das bestreiten? Man könnte höchstens einwenden, dass Wowereits Sieg weit weniger grandios war als erwartet und für den Bund ein Bärendienst, weil Gerhard Schröder nun die PDS-Unklarheit ausbügeln und Wowereit in eine Ampel zwingen muss, was dem Regierenden gegen das Herz geht.

Für die ganz roten Roten, die PDS, ist das Wahlergebnis schmerzlich-ironisch. Von vorherein war klar: Je mehr Stimmen sie bekommt, desto weniger wird man sie an der Macht beteiligen wollen. Die PDS hat alles gegeben - nämlich Gregor Gysi - und wenig bekommen, vor allem keine Mitfahrgelegenheit zur Macht im Bund. Was sollen sie jetzt tun, wo bei der PDS - vielleicht mehr noch als bei der FDP - die Dynamik Substanz und die Machtaussicht Glaubwürdigkeit ersetzen muss?

Mit ehrlicher Angst haben die Grünen auf Berlin geschaut: Würden ihre Wähler in der Hochburg den Kriegskurs der Partei im Bund unterstützen oder zumindest hinnehmen? Und: Könnte der Trend nach 16 Wahlniederlagen in Folge endlich gebrochen werden? Nach der Analyse der Grünen ließen sich bekanntlich all diese Niederlagen auf einen und denselben Mann zurückführen - auf Rudolf Scharping. Weil der Mitte der 90er Jahre die SPD so runtergezogen hat, stiegen die Grünen auf ein Niveau, das sie nicht halten können, wenn die SPD Politik ohne Bart macht. Die gestrige Wahl war also die Probe auf die These - und siehe da, sie stimmt offenbar. Gemessen an der Zumutung eines zweiten großen Krieges mit grüner Beteiligung ist das Ergebnis durchaus passabel. Es dürfte die Nervosität der Grünen auf Bundesebene zumindest nicht erhöhen.

Die Wähler haben gesprochen, die Politiker haben geredet, die Ausgangslage für die Bundestagswahl hat sich verändert: Die Gefahr für die Grünen bleibt groß, also wächst das Rettende, genauer: der Rettende auch. Gerhard Schröder, der Wahl-Mitsieger mit kleiner Delle, wird seinen Koalitionspartner leben lassen, wenn auch als Bonsai.

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