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Die Regierungschefs Kretschmann (Baden-Württemberg), Sieling (Bremen), Seehofer (Bayern) und Müller (Berlin).

© dpa

Berliner Finanzen: Der Weg stimmt

Berlin kommt wirtschaftlich voran – doch Überheblichkeit gegenüber anderen Bundesländern verbietet sich. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Gerd Nowakowski

Es ist nicht alles schlecht an der Spree – auch wenn die Politik in Bayern das gerne über die angebliche Schmuddelhauptstadt behauptet. Jetzt überholt das arme Berlin bei der Steuerkraft pro Kopf Nordrhein-Westfalen, hat auch Rheinland-Pfalz hinter sich gelassen und liegt nun auf dem fünften Platz – unter 16 Bundesländern.

Das Desaster der neunziger Jahre hat Berlin endlich zu den Akten gelegt

Niemand sollte das überbewerten. Statistiken sind geduldig, und mit einer Steuerkraft von 97,2 Prozent des Länderdurchschnitts sollte sich Berlin lauten Jubel verkneifen. Weit vor der Hauptstadt liegen immer noch Hamburg mit 155 Prozent des Durchschnitts und die reichen Südländer Bayern und Baden-Württemberg. Aber richtig ist eben auch, dass Berlin finanziell kein Fass ohne Boden mehr ist. Das ist ein wichtiges Signal: Berlin kommt voran, arbeitet sich langsam nach vorne und ist längst kein Schuldenmacher mehr. In der Statistik schlägt sich nieder, dass der Umschwung geschafft ist und die einstige Pleitemetropole sich auf einem Wachstumskurs befindet. Das Desaster der neunziger Jahre mit einer kollabierenden Industrie, hoher Arbeitslosigkeit und explodierender Schulden durch eine finanziell desaströse Wohnungsbaufinanzierung hat Berlin endlich zu den Akten gelegt. Bevölkerungswachstum, neue Jobs und neue Wirtschaftsfelder sind die Zutaten, mit denen die Stadt nun schon seit vier Jahren die wachstumsstärkste Region Deutschlands ist. Die zusätzlichen Steuereinnahmen haben nicht nur dabei geholfen, dass der Schuldenberg um über drei Milliarden Euro abgebaut wurde, sondern auch, dass noch Geld für neue Investitionen übrig bleibt. Das prognostizierte Bevölkerungswachstum von weiteren 500 000 Menschen bis 2025 wird die wirtschaftliche Aufholjagd weiter antreiben.

Berlin muss Musterknabe beim Schuldenabbau bleiben

Ein Grund zum Ausruhen ist das trotzdem nicht. Der Aufschwung kommt gerade rechtzeitig, um für gravierende Veränderungen gewappnet zu sein. Denn ab 2019 fallen die Mittel aus dem auslaufenden Solidarpakt weg, und bei der nächsten Periode der Regionalförderung der EU wird Berlin voraussichtlich weit weniger Geld erhalten als bisher. Noch ist wegen des Widerstands der Bundesregierung gegen das Länderkonzept auch nicht klar, wie viel Geld Berlin ab 2020 aus dem beim neugestalteten Länderfinanzausgleich erhält. Zur Wahrheit gehört zudem, dass Berlin selbst bei einer Schuldentilgung von jährlich einer Milliarde Euro erst in 20 Jahren beim Durchschnitt der Bundesländer angelangt wäre. Da ist noch viel zu tun.

Ganz egal, wie der neue Länderfinanzausgleich aussieht, eines ist schon heute klar. Berlin wird wegen der besonderen Situation des Stadtstaates mit einer Ballung an sozialen Problemen der größte Zahlungsempfänger bleiben. Um so mehr muss der Berliner Senat alles tun, um der Musterknabe beim Schuldenabbau zu bleiben und zugleich in die soziale Infrastruktur und Bildung investieren.

Jede Überheblichkeit verbietet sich also, weil Berlin noch auf unabsehbare Zeit die Solidarität der anderen Länder benötigen wird. Doch jeder weitere Prozentpunkt Zuwachs bei der Steuerkraft wird die Konflikte mit den reichen Geberländern abmildern. Dann werden möglicherweise selbst die Bayern sich irgendwann daran erinnern, dass sie nicht immer Nettozahler waren, sondern über Jahrzehnte der größte Nutznießer des Länderfinanzausgleichs.

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