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Meinung: Berliner Pfänderspiel

Von Roger Boyes Meine französische Kollegin, Madame Hugues, schrieb vor kurzem über Taxi-Fahrer, und ich musste mir die ganze Woche über nichts als Beschwerden anhören. Ihre kritischen Beobachtungen basierten, denke ich, auf einer alten Weisheit: „Nothing in life is certain apart from death and taxes.

Von Roger Boyes

Meine französische Kollegin, Madame Hugues, schrieb vor kurzem über Taxi-Fahrer, und ich musste mir die ganze Woche über nichts als Beschwerden anhören. Ihre kritischen Beobachtungen basierten, denke ich, auf einer alten Weisheit: „Nothing in life is certain apart from death and taxes.“ Irgendwie muss sie „death and Taxis“ verstanden haben und entschied sich deshalb, diese gefährdete, stets sensible Minderheit zu verfolgen. Tatsächlich sind Berliner Taxifahrer postmoderne Helden, die sich für jeden Fahrgast neu erfinden – mal als Poet der Straße, als gescheiterte Architekten oder (meistens) als aufstrebende Hüter des Polizeistaats.

Nein, wir sollten die Taxifahrer in Ruhe lassen und uns auf Steuereintreiber konzentrieren; sie bestimmen den wahren Pulsschlag im heutigen Berlin. Nehmen wir Thomas Conrad. Das war der Name auf seinem abgegriffenen Ausweis als Gerichtsvollzieher. Zu dumm, dass er diese Karte nicht zeigte, als er in die Wohnung meines Nachbarn stürmte, um unbezahlte Hundesteuer einzufordern. Es schien Herrn Conrad nicht zu stören, dass die Frau Amerikanerin war (die von ihrer Botschaft instruiert war, vorsichtig zu sein und Fremden nicht die Tür zu öffnen), dass sie ferner kein Wort seiner Ansprache verstand und dass ihr Kind beim Versuch zu flüchten, die Treppe hinuntergefallen war. Herr Conrad hatte schließlich einen Auftrag: Berlin vor dem Bankrott zu retten. Also begann er, zum Erstaunen der verängstigten Familie die Wertsachen in der Wohnung aufzulisten: DVD, Farbfernseher, Hometrainer.

Dem zweiten, achtjährigen Kind, erklärte er, was er da tat – leider war das Wort „Pfändung“ in ihrem Deutschunterricht bis dato noch nicht vorgekommen. Vielleicht sollte da nachgebessert werden. Die Mutter begriff mittlerweile, was vor sich ging. Sie hatte kein Geld im Haus, war aber bereit zum Geldautomaten zu gehen, mit Herrn Conrad. Er lehnte das Angebot ab: Gerichtsvollzieher sind nicht autorisiert, zur Bank zu gehen.

Am nächsten Tag kam Herr Conrad wieder. Ihm wurde der noch offene Betrag von der noch immer nervösen Amerikanerin angeboten. „Im Stehen kann ich keine Quittung ausstellen“, sagte er und verlangte erneut Zutritt zur Wohnung. Ich fungierte als Dolmetscher und bot an, seinen Aktenkoffer als Unterlage zu halten, damit er die komplizierte Aufgabe bewältigen könne. Er zuckte zurück.

Was die Dokumente betrifft, so dürfe ich sie lesen aber nicht behalten – sie seien öffentliches Eigentum. Es fing an zu regnen. Die Nachbarin bezahlte. Wir fanden einen Stuhl, so dass er die Quittung ausstellen konnte. Später ging Herr Conrad die Straße hinunter, den Kopf drehend wie ein Periskop. Es gibt 300000 Hunde in Berlin. Wie viele leben illegal hier? Berlins Geldprobleme können gelöst werden; wir müssen nur alle wachsam sein. Gute Arbeit, Herr Conrad.

Der Autor ist Korrespondent der „Times“. Foto: privat

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