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Berlins Schulpolitik: Gegen Windmühlen

Weite Teile Berlins gehen mühelos als soziale Brennpunkte durch. Dazu trägt auch die ungebremste Zuwanderung armer und bildungsferner Schichten aus der Türkei, dem Libanon oder Rumänien bei. Die Stadt gerät in einen Abwärtsstrudel, und die ersten, die das am eigenen Leibe erleben sind - nach den Kindern - Erzieher und Lehrer.

Das Berliner Bildungsdesaster nimmt seinen Lauf. Wenn man bisher noch handfeste Studien wie Pisa oder Statistiken über Schulabbrecher brauchte, um die Abgründe zu erfassen, reicht inzwischen schon eine Vergleichsarbeit, die noch nicht einmal geschrieben wurde. Die Rede ist von „Vera“ – einem bundesweiten Test, den Drittklässler absolvieren müssen. Alle großen Grundschulverbände der Stadt haben bekundet, dass dieser Test in sozialen Brennpunkten keinen Sinn hat, weil er zu schwer ist.

Diese Aussage ist so alarmierend, weil weite Teile Berlins inzwischen mühelos als soziale Brennpunkte durchgehen: Der Wegfall zehntausender Arbeitsplätze und das expandierende deutsche Prekariat zwischen Hellersdorf und Spandau haben dazu beigetragen, vor allem aber die ungebremste Zuwanderung ebenso armer wie bildungsferner Schichten aus der Türkei, dem Libanon oder Rumänien: Alle zusammen bilden die immense Zahl von 315 000 Hartz-IV-Haushalten, in denen inzwischen jedes dritte Berliner Kind lebt.

Weite Teile der Stadt geraten in einen Abwärtsstrudel, und die ersten, die das am eigenen Leibe erleben sind – nach den Kindern – Erzieher und Lehrer. Sie alle schlagen immer wieder Alarm: Was bei den Wissenschaftlern „Pisa“ heißt, trägt bei ihnen den Namen „Brandbrief“. So geht das seit rund zehn Jahren.

Es ist ja nicht so, dass die Politik darauf nicht reagierte. Eine Reform jagt die nächste. Erst kamen die Quartiersmanager, dann die Ganztagsschulen. Rund 50 Millionen Euro fließen jährlich in zusätzlichen Sprachunterricht, nicht weniger in kostenlose Kitas. Und weil man den Kitabesuch nicht vorschreiben kann, werden die Kinder inzwischen schon mit fünf Jahren in die Schule gezerrt. Immer nach dem Motto: Bloß weg von den Eltern, weg von den Milieus, in denen Bildung nichts wert ist, in denen ganztägig der Fernseher läuft und in denen morgens niemand aufsteht, um zur Arbeit zu gehen.

Inzwischen ahnt man, dass die Bemühungen ins Leere laufen. Zum einen wegen der stetig steigenden Zahl von Problemfamilien, zum anderen wegen der Halbherzigkeit vieler Reformen: Ein kostenloser Kitabesuch hat eben nur Sinn, wenn die Erzieher entsprechend ausgebildet sind. Die Schulpflicht für Fünfjährige kann nur Erfolg bringen, wenn es kleine Klassen und passende Räumlichkeiten gibt. Eine komplizierte Methode wie die Jahrgangsmischung kann nur gelingen, wenn sie beherrscht wird: Stattdessen wurde sie gegen den klaren Rat der Wissenschaft flächendeckend verordnet.

Die Ergebnisse dieser verfehlten oder halbherzigen Reformen werden jetzt geerntet. Sie bestehen aus Kindern, die nach drei bis fünf Jahren Kita und Schule noch keinen fehlerfreien Satz sprechen können. Die keine Vergleichsarbeit schreiben können, weil sie noch nicht einmal den Text der Aufgabenstellung verstehen. Langsam ahnen die ersten Wissenschaftler, dass man in Deutschland eine spezielle „Unterschichtenpädagogik“ braucht, um bei den Heerscharen von Hartz-IV-Kindern überhaupt noch etwas zu erreichen.

Heute wird in Berlin eine neue Untersuchung zur „Kompetenz deutscher Lehrkräfte“ vorgestellt. Noch sind die Befunde nicht bekannt. Fest steht nur: Berlins Drittklässler scheitern an ihrer Vergleichsarbeit „Vera“ nicht wegen schlechter Lehrer. Berlins Lehrer sind ganz normale Menschen, denen es Spaß macht, Erfolg zu haben, die es aber zermürbt, gegen Windmühlen zu kämpfen.

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