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Italien: Berlusconi: Die Panzerechse

Egomanie, sexuelle Großspurigkeit - spätrömische Dekadenz ist nichts dagegen. Vielleicht hat die unbegreifliche Toleranz von Berlusconis Landsleuten auch damit zu tun, dass sie in der jüngeren Geschichte von ihren Politikern kaum je etwas anderes gewohnt waren.

Der Rest ist Staunen. Wieder einmal hat es Silvio Berlusconi allen gezeigt. Hat, schwer angeschlagen, den Kopf aus der Schlinge gezogen, ein Misstrauensvotum überstanden, hat gewonnen, was verloren schien. Ein Phänomen, ein Rätsel. Eine undurchdringliche Haut scheint ihm gewachsen zu sein, an der alle Angriffe abprallen. Nicht nur äußerlich spielt der italienische Premier mit zunehmendem Alter mehr und mehr ins Echsenhafte. Panzerechse. Nichts und niemand kann ihm etwas anhaben.

Dabei ließen sich Seiten füllen mit der Aufzählung seiner Fehltritte. Er hat die Politik in ein Showgeschäft verwandelt, hat sich zum Clown auf den internationalen Bühnen gemacht, hat sich die Gesetze zurechtgebogen, auf dass es ihm und seinem Finanzimperium wohl ergehe. Ist von einem Fettnapf in den nächsten getaumelt, hat die Justiz entmachtet. Hat die Wirtschaft an den Rand des Ruins getrieben und die Staatsschuld zur drittgrößten der Welt aufgebläht. Ganz zu schweigen von der Kette privater Skandale, von Orgien mit Minderjährigen und Prostituierten. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass Unglaubliches über ihn zu lesen wäre – von Korruptionsverdacht bis zu Mafianähe. Und auch jetzt, nach seinem Sieg, ist keineswegs auszuschließen, dass Berlusconi wankelmütige Abgeordnete mit Geld gefügig gemacht hat.

Und doch: schon wieder ein Sieger. Zahllos sind die Versuche gewesen, das Phänomen Berlusconi zu ergründen. So zahllos wie hilflos. Denn sie alle erklären nicht, weshalb eine Mehrheit der 56 Millionen Italiener immer noch hinter ihrem Ministerpräsidenten steht. Natürlich weiß man, dass seine Stärke auch der Schwäche der politischen Opposition geschuldet ist. Natürlich weiß man, wie die Dauerpropaganda auf seinen Fernsehkanälen alle Wirklichkeit verfälscht. Natürlich weiß man, dass viele in Italien gerade das verehren, was andernorts als verabscheuungswürdig gilt: Schlitzohrigkeit, Rabaukentum, Weiberheldentaten. Aber kann das dazu führen, dass ein ganzes Volk darüber den Verstand verliert? Sind das tatsächlich der Gründe genug?

Berlusconi entwaffnet Kritiker, Analytiker, Politiker. Die Panzerechse entzieht sich jedem rationalen Diskurs. Sie bedient Gefühle, die nicht greifbar sind, sie spielt mit dem kollektiven Unbewussten: Großmannssucht, Egomanie, sexuelle Großspurigkeit. Spätrömische Dekadenz ist nichts dagegen.

Vielleicht aber hat die unbegreifliche Toleranz von Berlusconis Landsleuten auch damit zu tun, dass sie in der jüngeren Geschichte von ihrer „classe politica“ kaum je etwas anderes gewohnt waren. Mochten all die Andreottis und Craxis in der Vergangenheit ihre politischen Geschäfte auch nicht so exzessiv betrieben haben – dass die Herren auf den Hügeln von Rom schon immer Politik als Selbstbedienungsladen verstanden haben, wussten seit jeher alle Italiener, bevor es durch die Revolte der Antikorruptionsbewegung „mani pulite“ 1991 aktenkundig wurde. Eine graue Mentalität der Duldsamkeit hat sich seither breitgemacht. Und hat sich noch verstärkt, als sich zeigte, dass sich „il governo ladro“, die Diebesregierung, selbst durch jene Revolte nicht aus den Angeln heben ließ.

„Buonanotte all’Italia“, hat ein italienischer Liedermacher vor einiger Zeit gesungen, gute Nacht, Italien, du liegst auf der Intensivstation, mit Schläuchen in den Armen. Und Umberto Eco, einer der Klugen im Lande, hat jüngst in den Gesang eingestimmt: Nicht nur Menschen, auch Länder seien eben manchmal krank. Gute Besserung, Italien.

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