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Meinung: Beschweren Sie sich bloß nicht

Schröder geht ein bisschen auf die USA zu – das kann Europa nur helfen

Canossa liegt nicht in Amerika. Und auch nicht am Genfer See, wo sich George Walker Bush und Gerhard Schröder demnächst erstmals wieder begegnen: beim G-8-Treffen, der Zusammenkunft der größten Industrienationen der westlichen Welt plus Russland. Der Kanzler hat sich auf den Weg dorthin gemacht, gedanklich. Seine Rede zum 100. Geburtstag der Amerikanischen Handelskammer in Deutschland zeugt davon: „Never explain, never complain“, lautete der eine Satz, auf englisch zitiert, der alles zusammenfassen soll. Keine Rechtfertigungen, keine Beschwerden, stattdessen der Zukunft zugewandt und in diese Richtung losmarschiert – das klingt gut. Wenn es nur so einfach wäre.

Der Anlass war richtig gewählt. Ein Signal des Aufbruchs über den Atlantik hinweg zu senden, kurz bevor der amerikanische Außenminister Colin Powell in Berlin sein wird, kann helfen. Es reicht ja nicht, wenn sich einer alleine auf den Weg macht. Und Schröder sucht Anschluss, das ist deutlich. Er will Partner sein, nicht länger Persona non grata. Das gilt auch deshalb, weil die Westbindung als deutsche Staatsräson fortbesteht; was wir ihr schulden, hat Schröder mit seinem ausdrücklichen Dank an Bush senior für sein Wirken bei der Wiedervereinigung anerkannt. Und längst gibt es ja eine kulturelle Verwobenheit zwischen beiden Staaten, die ohne Alternative ist. Das sagte der Kanzler sogar mit diesen Worten. Nur dass sie vom „Bundesphilosophen“ und Stichwortgeber der Rot-Grünen stammen, von Jürgen Habermas. Übersetzt bedeutet das eine leichte Verbeugung Richtung Washington – die allerdings wirkungsvoller gewesen wäre, wenn Schröder kein Zitat dafür benötigt hätte. Aber so ist das Verhältnis eben inzwischen: Bush junior wird vom Kanzler mit keinem Wort erwähnt, Freude über den Sturz Saddams bringt er nicht über die Lippen.

Für seine Meinung zum Vorgehen im Irak hat Schröder auch wieder Habermas bemüht. Dessen Kritik, die eines Freundes, sollten die USA schon aushalten können, findet der Kanzler, womit er chiffriert die eigene meint. Aber was hilft es, wenn er Rechtfertigung und Beschwerde diplomatisch verhüllt? Der Alltag hat diese Pose überholt.

So oft, wie der Kanzler in seiner Rede die Freiheit erwähnte, die Gemeinsamkeit, die Werte, könnte man meinen, da habe einer ein schlechtes Gewissen. Aber das zuzugeben, ist es zu spät. Jetzt muss Substanzpolitik den Schaden richten. Armutsbekämpfung, Klimaschutz, Aufbau von Zivilstrukturen im Irak: Das ist ein Teil der Agenda 2003, und wer so selbstbewusst aufgetreten ist wie die Deutschen, wer behauptet, bewusst eine Emanzipationspolitik nach allen Seiten zu betreiben, muss seinen geraden Rücken noch beweisen. Vielleicht demnächst, bei der UN-Debatte zum Irak, auch gegenüber den Russen und Franzosen?

Schröder begründet seine Politik inzwischen vor allem mit dem europäischen Zusammenhang. Mit den auch buchstäblichen Grenzen, die einer „Mittelmacht“ auf diesem alten Kontinent gesetzt sind, mit der bitteren Erfahrung vieler bewaffneter Konflikte. Europa als Übung im Umgang größerer mit kleineren Partnern – so sieht er es. Aber so erklärt sich eben noch nicht, warum der Bundeskanzler entlang der Irakpolitik eine Wahl getroffen hat, die er besser nie getroffen hätte: die zwischen Frankreich und Amerika. Wohlweislich haben die USA über Jahrzehnte vermieden, die Deutschen in dieser Hinsicht zu provozieren. Schröder sagt, er hält eine derartige Wahl für „unsinnig“ – und hat sich dennoch entschieden!

Den Schaden haben die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Und die innerhalb Europas: Gerade als Mittelmacht, an der sich das alte, neue Europa orientiert, hat Deutschland die Verpflichtung, eine Brücke zu bilden. Nicht nur über den Atlantik. Wenn der Kanzler sich demnächst bei den alten, neuen Europäern rechtfertigen muss, darf er sich nicht beschweren.

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