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Meinung: Beutekunst: Nicht Recht, aber Gerechtigkeit

Das Beutekunst-Problem lässt sich nicht umfassend lösen, lindern lässt es sich schon. Die Betonung des völkerrechtlichen Anspruchs auf Rückgabe aller "kriegsbedingt verlagerten Kulturgüter" hat der deutschen Seite in den vergangenen Jahren längst nicht den erhofften Erfolg beschert.

Das Beutekunst-Problem lässt sich nicht umfassend lösen, lindern lässt es sich schon. Die Betonung des völkerrechtlichen Anspruchs auf Rückgabe aller "kriegsbedingt verlagerten Kulturgüter" hat der deutschen Seite in den vergangenen Jahren längst nicht den erhofften Erfolg beschert. In den von Kriegsverwüstungen gezeichneten Ländern Mittel- und Osteuropas fragten nicht nur unverbesserliche Altstalinisten, ob es nicht einen Ausgleich für die von der deutschen Wehrmacht angerichteten Zerstörungen geben müsse.

Deutschland beharrt auf Rückgabe, Osteuropa fordert Entschädigung. Das gilt nicht zuletzt für Polen. Die bilateralen Verhandlungen gerieten schon vor Jahren ins Stocken. Unlängst aber überreichte Ministerpräsident Buzek seinem deutschen Kollegen Schröder eine Luther-Bibel - aus dem Eigentum der Berliner Staatsbibliothek. Dieses Signal wird in der Bundesregierung jetzt offenbar verstanden. Der neue Kulturstaatsminister Nida-Rümelin jedenfalls hängt die Rechtslage deutlich tiefer, als dies zuvor in der deutschen Diplomatie der Brauch war. Jenseits aller Gesetzeskunde beginnt sich bei der Politik, aber auch bei den um ihr vermisstes Eigentum bangenden Einrichtungen ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass Rechtmäßigkeit und Gerechtigkeit nicht immer zur Deckung kommen.

Nichts läge zunächst näher, als die wechselseitigen Ansprüche - die Bücher hier, die Urkunden dort - durch Austausch zu erfüllen. Aber das der Vernunft Naheliegende ist nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs nicht zugleich auch das emotional Gewollte. Polen hat - wie Russland, wie alle vom Angriffskrieg der Nazis überzogenen Länder - nicht vergessen, welche Kulturschätze es in diesem Krieg unwiederbringlich eingebüßt hat. Nach wie vor widersetzen sich große Teile der Öffentlichkeit in Osteuropa dem Ansinnen, den Deutschen ohne Ausgleich etwas zurückzugeben. Zumal das, was man von den Deutschen eroberte, nur einen Bruchteil dessen darstellt, was man durch die Deutschen verlor.

Der Gedanke eines zumindest symbolischen Ausgleichs ist auf deutscher Seite zu kurz gekommen. Selbstverständlich gibt es am Völkerrecht nichts zu deuteln, demzufolge kriegsbedingt verlagerte Kulturgüter an ihre rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben sind. Auch die Verwahrung der Berliner Bücherbestände in der Jagiellonen-Bibliothek zu Krakau - zunächst jahrzehntelang verschwiegen und dann trotzig als rechtmäßig deklariert - hat vor dem Völkerrecht keinen Bestand. Um so weniger, als das internationale Recht in bilateralen Verträgen, insbesondere mit Polen und Russland, zusätzlich festgeschrieben worden ist.

Was aber auf dünnem diplomatischen Papier keinen Platz finden kann, sind verletzte Gefühle. In Polen - und gleichermaßen in Russland und anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion - wird nie vergessen werden, dass die Kriegsführung des "Dritten Reiches" auf die vollständige Vernichtung der politischen und kulturellen Identität gerichtet war. Zwar ist, was seinerzeit aus Osteuropa nach Deutschland verschleppt worden war, bald nach Kriegsende nahezu vollständig zurückgegeben worden. Gegenteilige Behauptungen, bis heute im Umlauf, sind nicht mehr als Zweckpropaganda. Was aber unterblieben ist und erst jetzt allmählich Resonanz findet, ist das Bemühen um Ausgleich, um Beistand bei der Bewahrung und Pflege des kulturellen Erbes.

Nicht um materielle Aufrechnung, sondern um Anteilnahme geht es - um das, was das in Verruf geratene Wort der "Wiedergutmachung" im Grunde meint. Dass die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit den eindrucksvollen Sammlungen der Staatlichen Museen Berlins nicht nur das Potenzial besitzt, sondern auch die Verpflichtung spürt, Institutionen jenseits von Oder und Neiße etwa durch Dauerleihgaben etwas von ihrer verlorenen Anziehungskraft zurückzugeben, ist gestern erstmals als Angebot an die polnische Seite herausgestrichen worden.

Kompensation nein, kulturelle Verantwortung ja: Die Rückkehr der Luther-Bibel aus Krakau nach Berlin ist zu solch gutnachbarschaftlicher Politik ein kleiner, aber machtvoller Anstoß.

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