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Cornelius Gurlitt bewahrte 1280 Kunstwerke in seiner Wohnung auf.

© AFP

Bild-Rückgabe im Fall Gurlitt: Später Sieg über die Nazis

Je ferner die Nazizeit rückt - desto lieber debattieren wir über den Umgang mit ihr. Im Fall Gurlitt läuft dabei allerdings einiges schief.

Seit Monaten wühlt der Fall Gurlitt die Öffentlichkeit auf. Ein alter Herr bewahrt 1280 Kunstwerke in seiner Wohnung auf, verhält sich seltsam und fällt wegen einer aus der Schweiz mitgeführten Geldsumme auf. Was dann in Gang gesetzt wird, das Räderwerk aus staatsanwaltlichen Ermittlungen samt Beschlagnahmung, führt nicht etwa zu einem Aufschrei wegen der offensichtlichen Unverhältnismäßigkeit der behördlichen Maßnahmen. Sondern im Zentrum der Aufmerksamkeit steht der Verdacht, der auf den nicht einmal Beschuldigten, sondern lediglich Verdächtigten fällt. Der Verdacht, es mit einem Verheimlicher von Naziunrecht zu tun zu haben.

Das ist der Punkt, an dem aus dem Behördenspektakel eine wahrhaft öffentliche Angelegenheit wird, wie sie unter dem Titel „Umgang mit dem Nazierbe“ schon zahllose Male durchgespielt wurde. Und zwar desto lieber, je ferner das Naziregime historisch rückt.

Nachdem das rasch entflammte Interesse an den beschlagnahmten Kunstwerken aus dem Besitz des 81-jährigen Cornelius Gurlitt mangels hochkarätiger Einzelstücke zunächst wieder abgeflaut war, ist mittlerweile wertvolleres Material aufgetaucht, das der Besitzer Gurlitt, unterdessen kompetent beraten, selbst ans Licht der Öffentlichkeit hat holen lassen. Und da erweist sich im Falle eines einzigen Gemäldes, dass Naziuntaten im Spiel sind. Dieses Gemälde war seinem jüdischen Eigentümer von den deutschen Besatzern in Paris geraubt worden.

Soll jede private Kunstsammlung durchforstet werden?

Keine Frage, dass das Rechtsempfinden es gebietet, das Raubgut seinen rechtmäßigen Eigentümern, mithin den Erben des unter deutscher Besatzung beraubten Eigners zurückzugeben. Eben dazu hat sich Cornelius Gurlitt im Falle des Gemäldes von Henri Matisse entschieden. Dazu ist er qua Gesetz nicht verpflichtet. Privatbesitz unterliegt nicht der Washingtoner Erklärung von 1998 – wie denn auch. Soll nunmehr jede private Kunstsammlung durchforstet, jeder Sammler zur Veröffentlichung seiner Schätze gezwungen werden? Im Rechtsstaat ist die Privatsphäre aus gutem Grund stark befestigt. Das ist für manche Zeitgenossen unerträglich. So sehr, dass sich selbst der bayerische Landesjustizminister zu waghalsigen Gesetzeskonstruktionen bemüßigt fühlte, um die im konkreten Fall Gurlitt als hinderlich empfundenen, bürgerlichen Rechte mal eben auszuhebeln. Und zwar so, dass gleich zwei Grundsätze des Rechtsstaates, das Rückwirkungsverbot und das Verbot von Einzelfallgesetzen, über Bord geworfen würden.

Das ist der erschreckende Aspekt der Aufregung um Gurlitt. Es geht nicht mehr um die Abwägung von Rechtsgütern. Nicht mehr um Verhältnismäßigkeit und um den Schutz von Rechten, die jedermann zustehen, sei er Steuerhinterzieher oder Besitzer anrüchiger Kunstwerke. Es geht vielmehr um einen symbolischen Sieg über das NS-Regime, exekutiert an einem Privatmann, der sich kaum mehr hat zuschulden kommen lassen, als seinen Privatbesitz ängstlich zu verbergen.

Die Brandmarkung eines Gurlitt entlastet niemanden

Mag sein, mit schlechtem Gewissen; gar mit mehr als nur einer Ahnung von Unrecht. Doch kann im Rechtsstaat niemand gezwungen werden, ein schlechtes Gewissen zu Markte zu tragen. Allein im Orwell’schen Überwachungsstaat, wie ihn das 20. Jahrhundert mehrfach erlebt hat, muss jedermann sein Innerstes nach außen kehren.

Hinsichtlich der Rückgabe von NS-geraubtem Kulturgut hat sich eine eigenartige Dynamik entwickelt. Jede Herausgabe, bildsprachlich als „Rückgabe“ verbrämt, wird insgeheim als später Sieg über Hitler gefeiert. Damit gerät die historische Perspektive in Schieflage. Denn wie viele Bilder auch restituiert werden mögen – sie bleiben die Spitze eines Eisbergs. Des Eisbergs der untilgbaren Tatsache, dass es dieses NS-Regime gegeben hat, mit allen Taten und Untaten.

Die Treibjagd auf Einzelne mindert daran kein Jota. Die Brandmarkung eines Gurlitt entlastet nichts und niemanden. Und der Rechtsstaat mit all seinen, bisweilen als störend empfundenen Schutzrechten ist eine zu kostbare Errungenschaft, um ihn für Stellvertretersiege einer wohlfeilen Moralität zu beschädigen.

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