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Das Bildungspaket soll mehr Familien erreichen .

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Kontrapunkt: Bildungspaket: Pyrrhussieg für ein Pauschalurteil

Nur jede fünfte berechtigte Familie beantragt Leistungen aus dem Bildungspaket. Sind Hartz-IV-Eltern Bildungsverweigerer - oder wollen sie diesem Stigma entgehen?

Ganz am Anfang, als die Bundesarbeitsministerin noch von der Bildungs-Chipcard träumte, wurde sie einmal gefragt, ob irgendeine Institution den Überblick darüber habe, wie viele Kinder für das Schulessen oder den Sportverein bereits Unterstützung über Kommunen, Schulen und private Initiativen beziehen. Frau von der Leyen musste passen, das weiß niemand in Deutschland.

Am Anfang stand also die Unkenntnis, was Familien, die von Hartz IV leben, brauchen, wollen oder nicht annehmen. Das große Defizit des Bildungspakets war, mit anderen Worten, eine beträchtliche Entfernung zur Lebensrealität der 2,5 Millionen Kita-Kinder, Schüler und Jugendlichen, für die das Bundesverfassungsgericht Anfang 2010 eine selbständige Ermittlung ihres Existenzminimums verlangt hatte. Um das öffentliche Klima in Erinnerung zu rufen: Das Urteil war Auslöser für die "spätrömische Dekadenz", die der damalige FDP-Chef allen bescheinigte, die Steuersenkungen nach dem Karlsruher Spruch für aussichtslos erklärten.

Die waren zwar schon vorher unrealistisch; die schwarz-gelbe Koalition aber befand sich noch in einem Zustand, in dem die christdemokratische Abteilung so tun musste, als müsse die FDP noch nicht alle Hoffnung fahren lassen, ihr Wahlversprechen zu halten. Mehr Geld für Hartz-IV-Empfänger und keine Steuersenkung für die Besserverdienenden - unvorstellbar.

Das Karlsruher Urteil hatte Bildungs- und kulturelle Angebote ausdrücklich dem Kinderexistenzminimum zugeordnet. Dass gerade Kindern, deren Eltern von Hartz IV leben, mit guten öffentlichen Schulen und Kindergärten am besten gedient sei, war und ist - von der CDU bis zu den Wohlfahrtsverbänden - unstrittig.

Auf Sachleistungen statt mehr Geld setzte denn auch die Arbeitsministerin. Es handelt sich allerdings um Sachleistungen allerdings in die Familien, nicht in die öffentliche Infrastruktur. Leyens Trumpf in der Debatte war ein öffentliches Pauschalurteil. Der durchschnittliche Bundesbürger, Politiker oder Journalist weiß zwar wenig über die Lebenswirklichkeit dieser Kinder. Aber dass ihre Eltern jeden Cent mehr Transfer eher für Alkohol, Zigaretten und Flachbildschirme als für neue Kinderschuhe ausgeben, das meint jeder zu wissen. Solche Eltern gibt es; aber es gibt auch die, die für ihrer Kinder auf alles zu verzichten bereit sind. Eltern, die von Hartz IV leben, sind im öffentlichen Bewusstsein Bildungsverweigerer und dieses Bild hat die Debatte um das Bildungspaket verfestigt.

Die Frage muss wenigstens gestellt werden, ob es nicht diese pauschalen Sichtweisen sind, die Eltern davon abhalten, bei ihrem Jobcenter drei bis fünf Anträge für Nachhilfestunden, Vereinsmitgliedschaft oder Flötenunterricht auszufüllen, die Bearbeitung abzuwarten und die genehmigte Leistung dann einzulösen. Nachhilfestunden gab es übrigens schon vor dem Bildungspaket, Basketballschuhe sind teuer, auch wenn der Verein kostenlos ist und die privaten Musikschulen sind überlaufen, weil das Schulfach Musik unter Schwund leidet.

Wetten, dass das Basispaket für den Schulbedarf, das es schon vor dem Bildungspaket gab, im neuen Schuljahr im üblichen Umfang beantragt wird. Wenn Frau von der Leyen die Nachfrage erhöhen will, dann sollte sie zuerst jeden Ton und Unterton vermeiden, der Ursachen für die Reserviertheit bei den berechtigten Familien sucht. Das zwei Drittel von ihnen derart verstockte Bildungsverweigerer sind, dass sie staatlichen Transfer verschmähen, kann doch nicht ins Weltbild der Arbeitsministerin passen.

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