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Biotreibstoffe: Lässt der Klimaschutz Menschen verhungern?

Am Montag beschloss die EU-Kommission, die Subventionen für Energiepflanzen zu streichen. Ist der Traum vom nachwachsenden Treibstoff also grandios gescheitert? Keineswegs - die Ursache der aktuellen Getreideverknappung liegt viel tiefer.

Der UN-Sonderbeauftragte für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler, brachte es auf den Punkt: „Biotreibstoff ist ein Verbrechen gegen die Menschheit.“ Ähnlich drastisch warnten der Internationale Währungsfonds und am Montag auch die Weltbank vor der Nahrungskonkurrenz zwischen Mensch und Maschine. Weil Biotreibstoffe die Preise für Getreide hochtreiben, müssten in den armen Ländern Millionen verhungern.

Tatsächlich haben sich die Weltmarktpreise für Getreide in den vergangenen drei Jahren mehr als verdoppelt. Zeitgleich flossen massive Subventionen in den Anbau von Biospritpflanzen, vor allem in Europa und den USA. Allein die US-amerikanische Bioethanolproduktion schluckte den gesamten Zuwachs der weltweiten Maisproduktion seit 2004 (50 Millionen Tonnen). Die Verteuerung der Grundnahrungsmittel könnte, so befürchten die Vereinten Nationen, die Erfolge der Entwicklungshilfe der letzten fünf bis zehn Jahre zunichte machen. Am Montag beschloss die EU-Kommission, die Subventionen für Energiepflanzen zu streichen.

Ist der Traum vom nachwachsenden Treibstoff also grandios gescheitert? Keineswegs – die Ursache der aktuellen Getreideverknappung liegt viel tiefer.

Mitte des 19. Jahrhunderts fand der deutsche Chemiker Justus von Liebig heraus, dass Pflanzen nicht nur von Licht und Wasser leben, sondern auch enorme Mengen an Mineralstoffen verbrauchen. Liebigs erster Patentdünger aus Phosphor und Kalium war allerdings ein Reinfall. Die Pflanzen gingen ein, die Felder sahen aus „wie glattrasiert“: Der selbsternannte „Arzt der Äcker“ hatte seinem Kunstdünger keine Stickstoffverbindung beigefügt. Erst 70 Jahre später gelang es Fritz Haber und Carl Bosch, im industriellen Maßstab Stickstoff aus der Luft in für Pflanzen verwertbare Salze umzuwandeln – seitdem ist die Ernährung der Menschheit ohne Kunstdünger nicht mehr denkbar. Das Haber-Bosch-Verfahren, mit dem bis heute „Brot aus Luft“ (Max Planck) gewonnen wird, hat jedoch einen gewaltigen Nachteil: Weil gasförmiger Stickstoff die stabilste bekannte chemische Verbindung ist, werden bei der Herstellung von Stickstoffdüngern (Nitrate und Ammoniumsalze) riesige Mengen Energie verbraucht.

Der Bedarf an Kunstdünger, die Technisierung des Ackerbaus und die langen Transportwege machen die Landwirtschaft zu einer energiehungrigen Branche. Analysten wissen, dass die Getreidepreise seit vielen Jahren immer enger vom Ölpreis abhängen.

Damit Landwirtschaft angesichts dessen nicht unrentabel wird, fördern insbesondere Industriestaaten ihre Binnenproduktion durch massive Subventionen und Einfuhrbeschränkungen. Dadurch entstanden bis vor kurzem regelmäßig Getreideüberschüsse, die Preise sanken. Weil Getreide jetzt auf dem Weltmarkt billiger zu bekommen war, lösten viele arme Länder Afrikas und Asiens ihre Notreserven auf. Hinzu kam der Bedarf für Biokraftstoffe. Durch diese Verknappung wurden Mais, Reis, Weizen und Soja zu begehrten und berechenbaren Spekulationsobjekten. Die Händler wussten, dass auf einen Anstieg des Ölpreises oder eine größere Missernte zwangsläufig eine massive Verteuerung von Getreide folgt.

Als nach den Ernteausfällen in Australien auch noch der Ölpreis in Richtung Rekordhoch kletterte, deckten sich die Spekulanten folgerichtig mit Getreide ein, was die Preise weiter in die Höhe trieb. Tragisch ist, dass die Politik auf diese vorhersehbare Entwicklung nicht rechtzeitig reagiert hat.

Biokraftstoffe müssen keineswegs automatisch mit Nahrungsmitteln konkurrieren, im Gegenteil: Das Ernährungsproblem kann nur gelöst werden, wenn das Energieproblem gelöst wird. Dafür stehen wahrscheinlich in naher Zukunft Biokraftstoffe der zweiten Generation zur Verfügung, die aus Holz und Zelluloseabfällen gewonnen werden. Die in den USA und Europa hastig eingeführten Verfahren, Ethanol aus Mais und Biodiesel aus Pflanzenölen, sind jedoch ökonomisch und ökologisch unsinnig. Solange die neuen Methoden nicht verfügbar sind, macht es auch keinen Sinn, ehrgeizige Ziele für den Bioanteil von Kraftstoffen festzulegen – dass unausgereifte Erfindungen mehr schaden als nutzen, hat Liebig ja bereits mit seinem furios gescheiterten Patentdünger bewiesen.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

Alexander S. Kekulé

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