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Meinung: Bitte um Regen

Roger Boyes, The Times

Ich wurde in meinem Leben nur zweimal zusammengeschlagen. Einmal, weil ich ein Engländer war, und das zweite Mal, weil ich Deutscher war. Oder zumindest wie ein Deutscher aussah.

Tatsächlich drehten sich beide Ereignisse um Sex. Als ich, für sehr kurze Zeit, Student in Marburg war, entschied ein junger Mann von einer Burschenschaft, der Alemannia, glaube ich, dass ich ein zu großes Interesse an seiner Freundin hätte, und schlug mir auf die Nase. Er sagte, er hätte mich nicht geschlagen, wenn ich Deutscher wäre. Ein weiterer guter Grund, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. Seitdem habe ich aber ein leicht geplättetes oberes Nasenbein, das meine Brille dazu ermuntert herunterzurutschen.

Die andere Konfrontation ereignete sich in Norwich, in Ostengland, wo ich als studentischer Sommerjobber Ausländern Englisch beibrachte. Jeden Abend probierten die „Lehrer“ – wir waren kaum 20 Jahre alt und nur ein klein wenig älter als die Schüler – eine neue Kneipe aus. Es gibt über 300 Kneipen in Norwich, so dass sich das Experiment zuweilen auf vier Kneipen pro Nacht ausdehnte. Es war eine viel beschäftigte Zeit voller Ambitionen.

Damals wie heute mochte ich Bier nicht so sehr und begann, mit einer sehr intensiven, braunäugigen Schülerin aus Bayern zu sprechen. Einer meiner Lehrerkollegen regte sich darüber auf, schrie, dass ich ein „Kraut“ wäre, und schlug mir mit einer Glasscherbe über das Auge. Ich habe dort immer noch eine kleine Narbe, und wenn es sehr heiß wird, so wie in diesen Wochen, beginnt sie zu jucken.

Das Ergebnis von alldem ist, dass ich ein Experte für die Kombination von Sex und Wut bin. Nicht immer, aber oft scheinen sie zusammenzupassen wie Pferd und Wagen: Das eine zieht das andere nach sich. Und so komme ich zu meinem Thema: Es ist wieder diese Jahreszeit gekommen. Am Hauptbahnhof werden Sie heute wahrscheinlich einem Liebeswächter begegnen, der ihnen die moderne Version eines Carepakets überreicht: Traubenzucker, Ohrstöpsel, Kühlgel, Drogennotdienstnummer und, natürlich, Kondome.

Die Loveparade ist wieder hier, und in zwei Wochen gibt es wieder die Christopher-Street-Day-Orgie. Die Fanmeile wird einfach zur F-Meile, als wenn die Party der Weltmeisterschaft endlos fortgesetzt werden könnte, als wenn der Rausch Programm wäre. Zumindest bis zur Wahl im September, wenn der Party-Meister mit der Hilfe der Stimmen der Erstwähler wiedergewählt werden kann.

Dennoch gibt es einen klaren Unterschied zwischen der WM- Party – einer Feier des Fußballs und des Multikulturalismus – und der Loveparade, die ein rein narzisstisches Ereignis ist. Es gibt nichts, was an dieser Loveparade schön ist, sie ist ein Ausfluss des Frusts. Das tribale Pulsieren des Technos produziert eine Art von Dschungelwut. Ich habe sie nur ein einziges Mal besucht und war – obwohl ich zwischen zwei spärlich bekleideten Mädchen eingeklemmt war – überrascht, wie unerotisch das Ganze war.

Heutzutage soll es anders sein. Keine Ecstasypillen, nur Bier light; kein Dr. Motte, sondern nur die Sponsoren der Fitnessstudiokette McFit. Nicht nur Techno, sondern auch House, Trance und Chillout. Warum überzeugt mich das dennoch nicht? Ich habe ja schließlich nichts gegen eine große Zahl junger Leute, die sich vergnügen. Meine Generation ging nach Woodstock und zu den Popkonzerten auf der Isle of Wight. Die ältere Generation ging zu den Kundgebungen der Nationalsozialisten und, wie eine arthritische Witwe mir einmal erklärte, hatte viel Sex. BDM, Bund Deutscher Mädel, stand auch für „Bub, drück mich“. Aber es scheint immer noch etwas falsch daran zu sein, nicht nur ästhetisch, dass eine halbe Million Kids nach Berlin kommt, nur um sich zu gestatten, hypnotisiert zu werden.

Das Fahnenschwingen auf der Fanmeile hatte etwas Unschuldiges. Die Loveparade macht mich misstrauisch. Unter ihrer Oberfläche gibt es ein Gefühl unterdrückter Gewalt. Es ist kein Ereignis, auf das Berlin stolz sein sollte. Das Beste, was am Samstag passieren könnte, ist Regen, der die fehlgeleitete Masse junger Leute abkühlt. Ich hätte nie gedacht, dass ich diese Kolumne mal benutzen würde, um Regen herbeizubitten, aber dies sind besondere Umstände. Die Narbe über meinem Auge beginnt wieder zu jucken.

Aus dem Englischen übersetzt von Clemens Wergin.

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