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Meinung: Börse: Die Bären sind los

SWas für eine ungewöhnliche Wiedereröffnung: Die traditionelle Glocke wurde zweimal geläutet, eine Ode an Amerika erklang, und ein doppelter Posaunenstoß der amerikanischen und europäischen Notenbanken begleiteten die erste Sitzung der New Yorker Börse am Montag. Große Unsicherheit lag vorher in der Luft: Welchen Takt würde Wallstreet nach dem Terroranschlag auf das Herz des Kapitalismus vorgeben?

SWas für eine ungewöhnliche Wiedereröffnung: Die traditionelle Glocke wurde zweimal geläutet, eine Ode an Amerika erklang, und ein doppelter Posaunenstoß der amerikanischen und europäischen Notenbanken begleiteten die erste Sitzung der New Yorker Börse am Montag. Große Unsicherheit lag vorher in der Luft: Welchen Takt würde Wallstreet nach dem Terroranschlag auf das Herz des Kapitalismus vorgeben? Lassen sich die Amerikaner von dem Schlag gegen das Financial Center und den drohenden "Kriegsrisiken" entmutigen und verkaufen, oder siegt der fast unverwüstliche amerikanische Optimismus mit Trotzkäufen?

Dass Wallstreet am Ende, nach zunächst dramatischen Einbrüchen, nur wenige Prozente verloren hat, verdankt sie auch dem bisher einmaligen koordinierten Vorgehen von Alan Greenspan und Wim Duisenberg. Das deutliche Zinssignal aus Washington kurz vor Wiedereröffnung der New Yorker Börsen hat die Baissestimmung gebremst. Der zweite Posaunenstoß kam noch während der Börsensitzungen aus Frankfurt. Die EZB reduzierte die Leitzinsen ebenfalls um einen halben Prozentpunkt. Der DAX reagierte erfreut. Ein solches transatlantisches Konzert stimmt zuversichtlich. Es signalisiert, daß auf beiden Seiten des Atlantik die Rezessionsgefahren ähnlich gesehen werden. Und es zeigt einen überraschenden Lerneffekt im EZB-Tower in Frankfurt. Nun wird gegengesteuert bevor die Wirtschaft auf Talfahrt geht - und nicht erst post mortem. Andererseits löst ein so ungewöhnliches Vorgehen Sorgen aus. Steht es um die Wirtschaften nach dem verheerenden Terroranschlag so schlecht?

Der erste beruhigende Handelstag in New York gibt noch keine zuverlässige Antwort darauf, wie es auf längere Sicht mit der Wirtschaft und den Börsen weiter geht? "Nichts wird mehr so sein wie vorher", heißt es allenthalben. Das ist zweifelhaft. Das meiste wird wieder genauso sein wie vor dem Anschlag. So wie die Börsen in bewundernswert kurzer Zeit inmitten des Chaos wieder funktionsfähig gemacht wurden und heuteder so gehandelt wird wie vor dem Desaster, so stehen sich auch jetzt wie früher die Pessimisten und die Optimisten gegenüber. Börsen bleiben Wetten auf die Zukunft. Was spricht für einen Crash, was für eine schnelle Erholung der Wirtschaft und der Kurse?

Die Bären weisen auf die schon vor dem Schlag erkennbaren rezessiven Tendenzen in den USA, in Japan und Europa hin, die jetzt verstärkt würden. Das Konsumentenvertrauen in den USA breche ein. Die Fluggesellschaften und die Tourismusunternehmen, die Finanzbranche und die Versicherer würden von den Folgen des Terrors hart getroffen. Höhere Ölpreise können die Inflation anheizen.

Dagegen stehen die Argumente der Bullen: Viele Branchen profitieren von der neuen Situation wie die Rüstungsindustrie und Hersteller von Sicherheitssystemen. 40 Milliarden US-Dollar kann der amerikanische Präsident nun zusätzlich für Nothilfe und den "Vergeltungsfeldzug" ausgeben. Ein unerwartetes Konjunkturprogramm. Die Ölpreise bleiben auf einem erträglichen Niveau, die Förderländer werden ihre Produktion steigern. Die Aktien sind jetzt billig. Aber als stärkstes Argument gilt die amerikanische Mentalität des "Nun erst recht". So kursieren trotzige, patriotische Aufrufe, gerade jetzt Aktien zu kaufen, um den Terroristen die zu zeigen, dass das kapitalistische System und seine Institutionen nicht wirklich gestört seien. Zu jeder Fahne auch eine Aktie als Bekenntnis zu Amerika.

Wer hat nun die besseren Argumente, die Bären oder die Bullen? Wir werden uns nach einigen Monaten die Augen reiben und wundern, wieviel Normalität dann wieder zurückgekehrt sein wird. Tschernobyl ist eine Lehre. Wir werden wieder Autos kaufen und Computer, verreisen und Geschäfte machen und unser Geld in Aktien und Immobilien anlegen. Die weltweite Erholung wird etwas später kommen als bisher erwartet. Die Wachstumsraten werden ein wenig bescheidener ausfallen. Die Kurse wachsen nicht mehr in den Himmel - und die Bürotürme auch nicht. Das Jahrzehnt der Gier und der Übertreibungen liegt hinter uns. Die Zeit eines sensibleren, nachdenklicheren Kapitalismus vor uns.

Heik Afheldt

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