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Meinung: Bonos Irrtum

Braucht der Schwarze Kontinent wirklich noch mehr Entwicklungshilfe? Immer mehr Afrikaner verneinen das

Das Delta des Niger ist ein hochkomplexes Ökosystem – und die Schatzkammer Afrikas. Dort lagern gigantische Ölvorräte. Doch fast nirgendwo in Nigeria ist etwas von den mehr als 300 Milliarden Dollar zu sehen, die das Land seit 1970 mit Ölexporten verdient hat. Als der Flughafen von Port Harcourt, der Tür zum Nigerdelta, vor kurzem vorübergehend geschlossen war, mussten Geschäftsleute in das nördlich gelegene Owerri fliegen, um dann die Straße nach Port Harcourt zu benutzen. Auf der nur 80 Kilometer langen Strecke galt es, 18 Polizei- und Militärkontrollen zu passieren, deren einziger Zweck im Abkassieren von Schmiergeld lag. An 14 weiteren Stellen waren die Schlaglöcher so tief, dass die Autos diese Hauptverkehrsader in einer der reichsten Regionen von Afrika verlassen mussten.

Wenn Nigeria, Afrikas bevölkerungsreichster Staat, als Maßstab für den Rest des Kontinents dient, werden die rund 800 Millionen Menschen südlich der Sahara noch lange in der Spirale von Armut und Stagnation verharren. Ist Nigeria symptomatisch für die Lage eines ganzen Kontinents? Strukturen für eine nachhaltige Entwicklung findet man in Afrika nur ganz vereinzelt. Und von Integration in die Weltwirtschaft kann nach wie vor kaum die Rede sein. Viele Merkmale der Misere Nigerias, insbesondere Korruption und Missmanagement, finden sich auch in den anderen Teilen des Kontinents. Im Klartext: So gut wie alle Versuche einer selbstbestimmten postkolonialen Entwicklung sind in Afrika gescheitert.

Dabei hatte alles so hoffnungsvoll begonnen. Als Ghana 1957 als erstes afrikanisches Land unabhängig wurde, war sein Pro-Kopf-Einkommen genauso so hoch wie jenes von Südkorea, Malaysia und Taiwan. Afrika wurden damals von der Weltbank bessere Startbedingungen attestiert als den ein paar Jahre zuvor in die Unabhängigkeit entlassenen Kolonien in Asien. Doch schon früh steuerte Staatschef Kwane Nkrumah sein Land in den Ruin. Seine sozialistischen Experimente wurden in Afrika fortan zur Regel. Nkrumah wurde nach kaum zehn Jahren gestürzt und starb 1972 im rumänischen Exil. Seiner Absetzung folgten vier Militärputsche in 13 Jahren. Heute übertrifft Südkorea Ghana in seiner Wirtschaftskraft um das 40-fache.

Unterdessen gilt Ghana als Lichtblick in Afrika. Sein marktwirtschaftlicher Kurs hat dem Land ein bescheidenes Wachstum von fünf Prozent und eine einstellige Inflationsrate beschert. Doch gemessen am globalen Standard ist Ghana mit einem Sozialprodukt von knapp 300 Dollar pro Einwohner noch immer bitterarm. Auch 50 Jahre nach der Unabhängigkeit exportiert das Land nur Rohstoffe: Gold und Kakao. Und die Geberländer finanzieren 40 Prozent seines Staatshaushaltes. Dass Ghana heute als Erfolgsstory gilt, ist bezeichnend dafür, dass Europa beim Blick auf den Kontinent die Messlatte noch immer auf Kindergröße anlegt.

Ghanas neue Reputation hat zur Folge, dass das Land heute mit Hilfsgeldern überhäuft wird. Es sieht so aus, als wollten die Geberländer mit Macht beweisen, dass die zwischen 1970 und 2004 nach Afrika überwiesenen Entwicklungsgelder in Höhe von rund 320 Milliarden Dollar doch von Nutzen waren.

Damit ist Ghana ein Beispiel dafür, wie sehr sich Afrikas Elite daran gewöhnt hat, alimentiert zu werden. Die Entwicklungsgelder, die einst als Hilfe zur Selbsthilfe gedacht waren, sind längst zu einer Dauerlösung verkommen, die alle Eigeninitiative erstickt. Statt mit der Hilfe Wachstumskräfte freizusetzen, wird damit längst nur der Etat finanziert.

Kritiker westlicher Entwicklungshilfe standen bis vor kurzem auf einsamem Posten. Doch auch in Afrika mehren sich die Stimmen, die solche Vorbehalte teilen. Entwicklungshilfe versetze Afrikas Despoten erst in die Lage, ihre Länder knechten zu können, meint etwa der kenianische Ökonom James Shikwati. Mehr als alles andere würde damit das zementiert, was eigentlich überwunden werden sollte: die Abhängigkeit.

Der kenianische Politikprofessor Ali Mazrui hat einst darauf hingewiesen, dass echte Reformen mit Selbstkritik beginnen. Doch genau das hören Afrikas Eliten höchst ungern. Denn das würde ja bedeuten, die Verantwortung für den Stillstand des Kontinents bei sich selbst und nicht permanent bei den Weißen suchen zu müssen. Simbabwes Diktator Robert Mugabe verkörpert diese Geisteshaltung wie kein anderer. Obwohl er das frühere Rhodesien im Alleingang ruinierte, macht er dafür die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien verantwortlich – und viele afrikanische Führer stimmen zu.

In Südafrika gehören die meisten Farmen noch Weißen, doch verstärkt sich der Druck, diese an die Regierung zu verkaufen. Wer das nicht freiwillig tut, kann künftig schneller enteignet werden. Bis 2014 sollen mehr als dreißig Prozent des Farmlandes an schwarze Kleinbauern verteilt sein. Sollte das realisiert werden, dürfte auch Südafrika, wie so viele andere Staaten des Kontinents, von Lebensmittelimporten abhängig werden. Denn die neuen Kleinbauern dürften kaum Überschüsse generieren.

Natürlich trägt der Westen eine Mitschuld dafür, dass es so weit kommen konnte. Schließlich wäre er durchaus imstande gewesen, die ruinöse Mischung aus Inkompetenz und Korruption seitens der afrikanischen Machthaber früher beim Namen zu nennen, die weltweite Geldwäsche der Potentaten zu unterbinden und seine Unterstützung an messbare Fortschritte in der politischen Kultur zu knüpfen, vor allem an die Meinungsfreiheit. Doch vielen Politikern und Hilfsorganisationen ist es geradezu peinlich, für die gewährte Hilfe einen Leistungsnachweis einzufordern. Auch andere konkrete Maßnahmen, die Afrika helfen könnten, wie etwa die Marktöffnung für seine Agrargüter und Textilien sind bislang unterblieben.

Stattdessen ist der Schwarze Kontinent zum Thema für Sonntagsreden und Gipfel geworden, in denen sich Politiker, Popstars und Globalisierungsgegner als Gutmenschen profilieren wollen. Nicht selten steckt dahinter ein aus der Kolonialzeit herrührendes tiefes Schuldbewusstsein, das die Beziehungen zwischen Afrika und Europa seit langem vergiftet. Wen interessiert da schon die afrikanische Realität?

Schuldzuweisungen ergeben keine Handlungsanleitung für die Gegenwart. Im Gegenteil: Sie perpetuieren eine Geisteshaltung – der Schwarze als Opfer, der Weiße als Täter – die, soll Afrika jemals aus eigener Kraft genesen, einer Neuausrichtung bedarf. Denn wie anderswo wird die Heilung Afrikas nicht durch Handauflegen von außen, sondern aus seinem Innern kommen müssen. Dann wird westliches Privatkapital nach Süden drängen. Selbst nach Nigeria.

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